Post by Katrin Coquillarde on May 20, 2009 0:48:35 GMT -5
Wie ihr seht, hat F. Villon den Germanisten in mir wieder mal geweckt.
Auch in Anbetracht unserer Darstellung und der Tatsache, dass wir sie für die musikalische Untermalung unseres Lagerlebens benutzen, kann es nicht schaden, wenn wir die Texte von Villon auch wirklich verstehen.
Und ich würde mich freuen, wenn sich der ein oder andere an diesem spannenden Thema beteiligen würde, denn jeder kann neue Aspekte und Ansichten mit einbringen.
Fragt auch gerne nach, wenn ihr irgendwas nicht versteht und euch nicht einfällt, wie man es interpretieren könnte.
Eine wesentliche Schwierigkeit liegt darin, dass uns nicht alle Texte Villons im Original vorliegen, sondern oft nur eine deutsche Nachdichtung von Paul Zech, die natürlich verfälscht sein kann. Zudem sind die Originaltexte in Altfranzösisch oder Argot (frz. Rotwelsch) verfasst, was die Interpretation nicht gerade einfach macht.
Nichtsdestotrotz möchte ich mit einem Text anfangen, welcher der Feder von Paul Zech entstammt, da ich ihn sehr schön und interessant finde und als erstes für die Verwendung auf Lager neu vertonen möchte:
EINE KLEINE RÄUBERBALLADE VON DEN DREI COQUILLARDS
An einem grauen Regentag
hat uns der Hauswirt ausquartiert,
und weil die Stadt am Wasser lag,
sind wir nach Norden abmarschiert.
Da stand ein Dorf im nassen Gras,
doch als die Sonne wieder schien
und jedes Tier sein Haus besaß,
da mussten wir doch weiter ziehn.
Sie sagten, dass man uns auf tausend Schritt
schon riechen kann, es gäb hier nichts zu erben,
und was man uns vom Brot abschnitt,
das war zuviel für ihrer drei zum Sterben.
Kennt ihr den Hohlweg von Laon,
drei Straßen durch den Tannenwald?
Da hat uns plötzlich ein Cochon
die KUgeln um den Kopf geknallt;
wir wollten ihm den Wagen nur
herausziehn aus dem dicken Dreck,
unda lles, was da mit ihm fuhr,
war furchtbar aufgeregt vor Schreck.
Sie sagten, dass man uns auf tausend Schritt
schon riechen kann, es gäb hier nichts zu erben,
und was man uns vom Brot abschnitt,
das war zuviel für ihrer drei zum Sterben.
Der Bauer stiehlt dem Herrn das Brot,
dem Bauern stiehlt es der Baron.
Und einer schlägt den andern tot
für nichts als einen Gotteslohn.
Was übrig bleibt, stinkt in der Welt
herum und hat ein dickes Fell.
Wie gerne machten wir zu Geld
das Fell von Meister und Gesell:
Sie sagten, dass man uns auf tausend Schritt
schon riechen kann, es gäb hier nichts zu erben,
und was man uns vom Brot abschnitt,
das war zuviel für ihrer drei zum Sterben.
Der Wein ist teuer und zu dritt
ein Bett im Wirtshaus ist es auch.
Im Beutel ging die Laus nur mit,
das Geld lag längst verfault im Bauch.
Da kamen drei Soldaten her
mit einem roten Band am Hut,
die sagten: ei, für das Gewehr,
da seid ihr alle drei noch gut.
Wir aber rochen auf tausend Schritt
den Höllenpfuhl, da geb es nichts zu erben.
Denn wo im Feld die rote Sichel schnitt,
da waren Männer nie genug zum Sterben.
Ein Zusatz zum Nachdenken:
Sie starben, wie man eben sterben muss,
weil's ihrer viel zu viel auf dieser Welt schon sind;
die Köpfe fielen ab und trieben auf dem Fluss
vorüber und es wurde niemand davon blind.
Laon = Stadt in Frankreich
Cochon = frz. "Schwein"
Es biedert sich ja direkt an, den "Zusatz zum Nachdenken" zu interpretieren (ist ja auch Sinn der Sache ) und er lässt ohne Zweifel den meisten Interpretationsspielraum am ganzen Text. In erster Linie sind es zwei Ansätze die hier vorrangig in Frage kommen:
1. Ansatz: Es wurde niemand davon blind = es hat niemanden bekümmert, es war allen egal; das ist vielleicht der erste Gedanke auf den man in diesem Zusammenhang kommt.
2. Ansatz: der zweite Ansatz ist wesentlich interessanter als der erste und erfordert einige Hintergrundinformation. Es war Adrian, der mich darauf gebracht hat und inzwischen erscheint mir dieser Ansatz fast wahrscheinlicher als der erste (wobei ich persönlich fast denke, dass beide Saiten mitschwingen). Im Mittelalter war verfestigt, was bis heute noch tendenziell zu beobachten ist, nämlich, dass fest angenommen wurde, dass Kriminalität mit Hässlichkeit gleichzusetzen ist und zwar nicht nur charakterlich, sondern vor allem auch äußerlich. Nach mittelalterlicher Vorstellung müssten die drei Räuber also unglaublich "hässlich" gewesen sein. Allerdings - und hier sind wir beim Zusatz - waren sie wohl doch nicht so hässlich, denn es hat nicht ausgereicht um jemanden zu blenden. Das lässt sich natürlich wieder 1:1 auf den Charakter übertragen und dieser Gedanke ist sehr gut möglich, da die Räuber in diesem Text sehr positiv dargestellt werden und in aller Ausführlichkeit gezeigt wird, dass sie nur aus Not und weil es ihnen sehr schlecht geht ("...war zuviel für ihrer drei zum Sterben" = "zu wenig zum Leben"), kriminell werden, nicht weil sie böse (= hässlich) sind.
Denkt mal ein Bisschen darüber nach. Genau das wollte Villon nämlich!
Vielleicht fällt euch ja noch was anderes ein, oder eine Bestätigung oder Wiederlegung der ein oder anderen These!
(Hier übrigens eine schöne Vertonung: www.youtube.com/watch?v=DZPMdFzJL_g)
Auch in Anbetracht unserer Darstellung und der Tatsache, dass wir sie für die musikalische Untermalung unseres Lagerlebens benutzen, kann es nicht schaden, wenn wir die Texte von Villon auch wirklich verstehen.
Und ich würde mich freuen, wenn sich der ein oder andere an diesem spannenden Thema beteiligen würde, denn jeder kann neue Aspekte und Ansichten mit einbringen.
Fragt auch gerne nach, wenn ihr irgendwas nicht versteht und euch nicht einfällt, wie man es interpretieren könnte.
Eine wesentliche Schwierigkeit liegt darin, dass uns nicht alle Texte Villons im Original vorliegen, sondern oft nur eine deutsche Nachdichtung von Paul Zech, die natürlich verfälscht sein kann. Zudem sind die Originaltexte in Altfranzösisch oder Argot (frz. Rotwelsch) verfasst, was die Interpretation nicht gerade einfach macht.
Nichtsdestotrotz möchte ich mit einem Text anfangen, welcher der Feder von Paul Zech entstammt, da ich ihn sehr schön und interessant finde und als erstes für die Verwendung auf Lager neu vertonen möchte:
EINE KLEINE RÄUBERBALLADE VON DEN DREI COQUILLARDS
An einem grauen Regentag
hat uns der Hauswirt ausquartiert,
und weil die Stadt am Wasser lag,
sind wir nach Norden abmarschiert.
Da stand ein Dorf im nassen Gras,
doch als die Sonne wieder schien
und jedes Tier sein Haus besaß,
da mussten wir doch weiter ziehn.
Sie sagten, dass man uns auf tausend Schritt
schon riechen kann, es gäb hier nichts zu erben,
und was man uns vom Brot abschnitt,
das war zuviel für ihrer drei zum Sterben.
Kennt ihr den Hohlweg von Laon,
drei Straßen durch den Tannenwald?
Da hat uns plötzlich ein Cochon
die KUgeln um den Kopf geknallt;
wir wollten ihm den Wagen nur
herausziehn aus dem dicken Dreck,
unda lles, was da mit ihm fuhr,
war furchtbar aufgeregt vor Schreck.
Sie sagten, dass man uns auf tausend Schritt
schon riechen kann, es gäb hier nichts zu erben,
und was man uns vom Brot abschnitt,
das war zuviel für ihrer drei zum Sterben.
Der Bauer stiehlt dem Herrn das Brot,
dem Bauern stiehlt es der Baron.
Und einer schlägt den andern tot
für nichts als einen Gotteslohn.
Was übrig bleibt, stinkt in der Welt
herum und hat ein dickes Fell.
Wie gerne machten wir zu Geld
das Fell von Meister und Gesell:
Sie sagten, dass man uns auf tausend Schritt
schon riechen kann, es gäb hier nichts zu erben,
und was man uns vom Brot abschnitt,
das war zuviel für ihrer drei zum Sterben.
Der Wein ist teuer und zu dritt
ein Bett im Wirtshaus ist es auch.
Im Beutel ging die Laus nur mit,
das Geld lag längst verfault im Bauch.
Da kamen drei Soldaten her
mit einem roten Band am Hut,
die sagten: ei, für das Gewehr,
da seid ihr alle drei noch gut.
Wir aber rochen auf tausend Schritt
den Höllenpfuhl, da geb es nichts zu erben.
Denn wo im Feld die rote Sichel schnitt,
da waren Männer nie genug zum Sterben.
Ein Zusatz zum Nachdenken:
Sie starben, wie man eben sterben muss,
weil's ihrer viel zu viel auf dieser Welt schon sind;
die Köpfe fielen ab und trieben auf dem Fluss
vorüber und es wurde niemand davon blind.
Laon = Stadt in Frankreich
Cochon = frz. "Schwein"
Es biedert sich ja direkt an, den "Zusatz zum Nachdenken" zu interpretieren (ist ja auch Sinn der Sache ) und er lässt ohne Zweifel den meisten Interpretationsspielraum am ganzen Text. In erster Linie sind es zwei Ansätze die hier vorrangig in Frage kommen:
1. Ansatz: Es wurde niemand davon blind = es hat niemanden bekümmert, es war allen egal; das ist vielleicht der erste Gedanke auf den man in diesem Zusammenhang kommt.
2. Ansatz: der zweite Ansatz ist wesentlich interessanter als der erste und erfordert einige Hintergrundinformation. Es war Adrian, der mich darauf gebracht hat und inzwischen erscheint mir dieser Ansatz fast wahrscheinlicher als der erste (wobei ich persönlich fast denke, dass beide Saiten mitschwingen). Im Mittelalter war verfestigt, was bis heute noch tendenziell zu beobachten ist, nämlich, dass fest angenommen wurde, dass Kriminalität mit Hässlichkeit gleichzusetzen ist und zwar nicht nur charakterlich, sondern vor allem auch äußerlich. Nach mittelalterlicher Vorstellung müssten die drei Räuber also unglaublich "hässlich" gewesen sein. Allerdings - und hier sind wir beim Zusatz - waren sie wohl doch nicht so hässlich, denn es hat nicht ausgereicht um jemanden zu blenden. Das lässt sich natürlich wieder 1:1 auf den Charakter übertragen und dieser Gedanke ist sehr gut möglich, da die Räuber in diesem Text sehr positiv dargestellt werden und in aller Ausführlichkeit gezeigt wird, dass sie nur aus Not und weil es ihnen sehr schlecht geht ("...war zuviel für ihrer drei zum Sterben" = "zu wenig zum Leben"), kriminell werden, nicht weil sie böse (= hässlich) sind.
Denkt mal ein Bisschen darüber nach. Genau das wollte Villon nämlich!
Vielleicht fällt euch ja noch was anderes ein, oder eine Bestätigung oder Wiederlegung der ein oder anderen These!
(Hier übrigens eine schöne Vertonung: www.youtube.com/watch?v=DZPMdFzJL_g)