Post by Josuha zu Magon on Mar 14, 2008 14:09:33 GMT -5
Rotwelschehr ist mehr als ein Jargon. Es ist ein Lebensgefühl des Widerstands, blühender und schmutziger Phantasie, der Blasphemie und der Ablehnung aller herrschenden Werte. Eine Mischung von: dt. Begriffen, Jiddisch, Jenisch, Zigeunersprache Es ist der Geheimcode mittelalterlicher Diebe, Landstreicher, Nichtsesshafter und Gesetzloser.
Wenn auch nicht viel, ausser ein paar wenigen Legenden, über Diebe, Räuber und Wegelagerer aus dem Mittelalter bekannt ist, wurde eines jedoch überliefert: die Sprache dieser "Zunft": Rotwelsch. Die genaue Bedeutung von "Rotwelsch" ist heute noch umstritten.
"Rot" bedeutet hier: falsch, im Sinne von untreu.
"Welsch", eigentlich meinte es: französisch, bedeutet hier: fremdartig, unverständlich.
Der mittelniederländische Ausdruck "rot walsch" bezeichnet "dreckiges Französisch"
"Welsch" ist eine alte Bezeichnung für "romanisch". "Rot" erinnert an den Bettlerbrauch Wunden vorzutäuschen, indem sie sich Blut ins Gesicht schmierten. Es gibt eine Vielzahl von Herleitungsmöglichkeiten, diese beiden scheinen mir aber die Wahrscheinlichsten zu sein.
Rotwelsch ist also "eine unverständliche, fremde Sprache". Der Begriff "welsch" findet sich heute auch noch in: "Kauderwelsch", mit ähnlicher Bedeutung wie der Begriff: Rotwelsch.
Obwohl in der Literatur häufg von der deutschen Gaunersprache oder dem Rotwelsch die Rede ist, zeigen bereits die vielfältigen Sprachbezeichnungen, dass es sich nicht um eine einzelne, sondern vielmehr um zahlreiche Variationen einer Sondersprache handelt. Andere Bezeichnungen sind beispielsweise Kundensprache, Dirnensprache, Jenisch oder auch Kochemersprache. Etwas seltener trifft man auf Masematte, Manisch, Schlausmen oder Henese Fleck. Von der Germanistik bevorzugt verwendet wird der Begriff "Rotwelsch", da all jene Bezeichnungen ungenau sind und die Vorstellung erwecken, es handle sich um Nahsprachen, Nebensprachen oder Beisprachen des Deutschen. In der Tat handelt es sich bei dem Rotwelschen aber um einen umfangreichen Sonderwortschatz, und keine Sprache. Daher ist es wichtig, den Begriff Rotwelsch inhaltlich noch einmal aufzuteilen in die Gaunersprache, also einer Verkehrssprache, welche im deutschen Sprachgebiet von initiierten Sprechern beherrscht wird, als auch einen Sammelbegriff für ortsgebundene Mundarten, die sich im Laufe der Zeit unabhängig voneinander entwickelt und etabliert haben.
Einer der wesentlichen Gründe für die Entstehung des Rotwelschen liegt in der mittelalterlichen Ständeordnung begründet. Hierin werden ehrliche und unehrliche Gewerbe unterschieden, wobei die Bezeichnung "unehrlich" nicht komplett identisch ist mit seiner heutigen Bedeutung. Zu den unehrlichen Berufen zählten neben Landstreichern, Spielleuten und Prostituierten auch Müller, Schäfer und Schornsteinfeger. Als Konsequenz dieser Unterscheidung entwickelte sich ein Gemeinschaftsgefühl, auf dessen Grundlage das Rotwelsch entstand.
Zu Beginn wurde das Rotwelsche überwiegend von "fahrendem Volk", auch bezeichnet als Vaganten, gesprochen, und erst später, mit Einsetzen der Landflucht, in die Dörfer und Städte getragen. Obwohl im frühen Mittelalter prinzipiell nur wenig gereist wurde, gab es doch einige Gruppen, die nahezu dauernd unterwegs waren. Hierzu gehörten unter anderem Bettler, Gaukler, Schausteller, Kaufleute, Pilger und Handwerker.
Auch Räuberbanden, welche bereits im frühen Mittelalter existierten, hatten intensiven Kontakt mit den Vaganten . Ihre "große Zeit" kam aber erst im 18. Jahrhundert . Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war die Ansicht vorherrschend, dass Gauner keinen festen Wohnsitz haben können, was bezeichnend für die mangelnde Differenzierung des fahrenden Volks ist. Es läßt sich unschwer erkennen, welchen Status die "Nichtseßhaften" zu dieser Zeit hatten. Die Vagantenpopulation im 18. Jahrhundert machte mindestens 10 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, was nicht zuletzt auf den ambulanten Handel, also die von Hof zu Hof reisenden Hausierer, zurückzuführen war. Nicht jeder Vagant war somit auch gleichzeitig ein Gauner.
Eine besondere Rolle in dieser Sprechergemeinschaft bildeten die Juden. Aufgrund zahlreicher Repressionen und Aussagen war ihnen kein anderes Handwerk als das des Handels erlaubt, was zur Folge hatte, dass es keine nichtjüdischen Kaufleute gab . Aber nicht nur Händler, sondern auch jüdische Diebesbanden bestimmten das Bild der Vaganten. Aufgrund des hohen Drucks seitens der Gesellschaft schlossen sich vereinzelt jüdische Räuberbanden zusammen, die die Repressalien der Obrigkeit nicht weiter hinnehmen wollten. Händler wie Räuber hatten Kontakt mit den umherziehenden Vaganten und trugen so zur Vermengung der Wortschätze und somit zur Entstehung des Rotwelschen bei. Von einer unverhältnismäßig hohen Beteiligung der Juden kann jedoch keine Rede sein.
Zwischen dem Rotwelsch des fahrenden Volks und den noch vereinzelt zu beobachtenden Resten in Städten und Gemeinden bestehen nicht nur Gemeinsamkeiten in Bezug auf das verwendete Vokabular, sondern auch bezüglich der Funktion der Geheimsprache.
Die sprachliche Absonderung mittels einer Geheimsprache hatte und hat vier Gründe:
Während die ersten drei Funktionen eher auf die Umgebung gerichtet sind und primär auf Schutz oder Betrug abzielen, so bezieht sich der vierte Punkt auf die Sprechergemeinschaft selbst und stellt vermutlich die wichtigste Funktion der Sprache dar.
Lange Zeit ging man davon aus, dass das Rotwelsche allein aus Gründen der Geheimhaltung erschaffen und geprägt wurde, was vor allem auch ein gesteigertes Interesse von Kriminalisten wie Ave Lallemant, Günther und Groß Seelig erklärt. Bereits im "Baseler Rathsmandat wider die Gilen und Lamen", welches die Grundlage für den Liber vagatorum, eines der bekanntesten Wörterbücher des Rotwelschen, bildete, geht es vorrangig um Aufklärung und den Schutz vor Räubern und Betrügern. Vor allem gegen Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden geheimsprachliche Wortsammlungen mit eindeutig praxisorientierem Ansatz häufiger, wie der Untertitel einer um 1755 erschienenen "Rotwelschen Grammatik oder Sprachkunst" verdeutlicht:
Anweisung wie man diese Sprache in wenig Stunden erlernen, reden und verstehen möge; Absonderlich denjenigen zum Nutzen und Vortheil, die sich auf Reisen in Wirtshäusern und anderen Gesellschaften befinden, das daselbst einschleichende Spitzbubengesindel, die sich dieser Sprache befleißigen, zu erkennen, um ihren diebischen Anschlägen dadurch zu entgehen.
Aufgrund der Geheimhaltungsfunktion des Rotwelschen, gibt es sehr wenige Primärquellen, nahezu alle Quellen sind also Aufzeichnungen aus zweiter Hand. Bemerkenswert ist auch, dass, obwohl das Rotwelsche ab dem 18. und vor allem im 19. Jahrhundert nicht länger der Tarnung von Gaunern und heimatlosen Vaganten diente, es auch dann noch weiter benutzt wurde, als die Fahrenden ortsansässig oder stadtansässig wurden.
Bereits in der Frühzeit des Rotwelschen spielte die Identifikationsfunktion eine wesentliche Rolle, der jedoch erst in der jüngeren Rotwelschforschung Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im Falle des Rotwelschen gehört der Erwerb der Sondersprache zur gruppenspezifischen Sozialisation. Betrachtet man die Situation der Sprechergemeinschaft, so kann die Bedeutung des Rotwelschen kaum überschätzt werden. Im Allgemeinen werden drei Positionen unterschieden, wenn es um das Verhältnis zwischen Sprache und Gesellschaft geht:
Während in den frühen Jahren des Rotwelsch vermutlich besonders die erste und zweite Position vorherrschend vertreten sind, so wandelte sich die Gestalt der Sondersprache bis in die heutige Zeit. Die Wechselwirkung zwischen Sprache und Gesellschaft ist einer der wesentlichen Ansatzpunkte der Forschung. Erich Bischoff deffnierte 1916 das Rotwelsch als Klassensprache. Da die Sprechergemeinschaft über die Jahrhunderte nicht konstant war, sondern jeweils weitere Gruppen sich des Rotwelschen bedienten, ist die Einteilung als Klassensprache nicht ganz zutreffend. Von Beginn an gehörten zu den Sprechern des Rotwelschen Verbrecher, Diebe und Spitzbuben, Landsknechte, Dirnen, Bettler, Landstreicher, Walzbrüder, Kunden, Stromer und Scharfrichter, Schinder und Abdecker. Obwohl sie eine eigene ethnische Gruppe bilden, wurden Juden sowie Zigeuner häuffg zur Klasse der Rotwelschsprecher hinzugerechnet. Im 18. Jahrhundert kamen Krämer, Händler, Hausierer und Wandermusikanten und ambulante Handwerker zur Sprechergemeinschaft hinzu, die jedoch sozial anders einzustufen sind. Die ersten sechs Gruppen lassen sich, verallgemeinert gesagt, zu den "unehrlichen Leuten", den Friedlosen, Besitzlosen oder zum fahrenden Volk zählen. Für die beiden letztgenannten Gruppen dürfte das Rotwelsche hingegen vielmehr den Status einer Berufssprache, statt einer Kastensprache bekleiden. Daraus läßt sich folgern, daß sich beim Rotwelsch entgegen traditioneller Auffassung die Merkmale von Geheimsprache, Berufssprache, und Klassensprache nicht dividieren lassen.
Wenn auch nicht viel, ausser ein paar wenigen Legenden, über Diebe, Räuber und Wegelagerer aus dem Mittelalter bekannt ist, wurde eines jedoch überliefert: die Sprache dieser "Zunft": Rotwelsch. Die genaue Bedeutung von "Rotwelsch" ist heute noch umstritten.
"Rot" bedeutet hier: falsch, im Sinne von untreu.
"Welsch", eigentlich meinte es: französisch, bedeutet hier: fremdartig, unverständlich.
aber auch:
Der mittelniederländische Ausdruck "rot walsch" bezeichnet "dreckiges Französisch"
aber auch:
"Welsch" ist eine alte Bezeichnung für "romanisch". "Rot" erinnert an den Bettlerbrauch Wunden vorzutäuschen, indem sie sich Blut ins Gesicht schmierten. Es gibt eine Vielzahl von Herleitungsmöglichkeiten, diese beiden scheinen mir aber die Wahrscheinlichsten zu sein.
Rotwelsch ist also "eine unverständliche, fremde Sprache". Der Begriff "welsch" findet sich heute auch noch in: "Kauderwelsch", mit ähnlicher Bedeutung wie der Begriff: Rotwelsch.
Obwohl in der Literatur häufg von der deutschen Gaunersprache oder dem Rotwelsch die Rede ist, zeigen bereits die vielfältigen Sprachbezeichnungen, dass es sich nicht um eine einzelne, sondern vielmehr um zahlreiche Variationen einer Sondersprache handelt. Andere Bezeichnungen sind beispielsweise Kundensprache, Dirnensprache, Jenisch oder auch Kochemersprache. Etwas seltener trifft man auf Masematte, Manisch, Schlausmen oder Henese Fleck. Von der Germanistik bevorzugt verwendet wird der Begriff "Rotwelsch", da all jene Bezeichnungen ungenau sind und die Vorstellung erwecken, es handle sich um Nahsprachen, Nebensprachen oder Beisprachen des Deutschen. In der Tat handelt es sich bei dem Rotwelschen aber um einen umfangreichen Sonderwortschatz, und keine Sprache. Daher ist es wichtig, den Begriff Rotwelsch inhaltlich noch einmal aufzuteilen in die Gaunersprache, also einer Verkehrssprache, welche im deutschen Sprachgebiet von initiierten Sprechern beherrscht wird, als auch einen Sammelbegriff für ortsgebundene Mundarten, die sich im Laufe der Zeit unabhängig voneinander entwickelt und etabliert haben.
Einer der wesentlichen Gründe für die Entstehung des Rotwelschen liegt in der mittelalterlichen Ständeordnung begründet. Hierin werden ehrliche und unehrliche Gewerbe unterschieden, wobei die Bezeichnung "unehrlich" nicht komplett identisch ist mit seiner heutigen Bedeutung. Zu den unehrlichen Berufen zählten neben Landstreichern, Spielleuten und Prostituierten auch Müller, Schäfer und Schornsteinfeger. Als Konsequenz dieser Unterscheidung entwickelte sich ein Gemeinschaftsgefühl, auf dessen Grundlage das Rotwelsch entstand.
Zu Beginn wurde das Rotwelsche überwiegend von "fahrendem Volk", auch bezeichnet als Vaganten, gesprochen, und erst später, mit Einsetzen der Landflucht, in die Dörfer und Städte getragen. Obwohl im frühen Mittelalter prinzipiell nur wenig gereist wurde, gab es doch einige Gruppen, die nahezu dauernd unterwegs waren. Hierzu gehörten unter anderem Bettler, Gaukler, Schausteller, Kaufleute, Pilger und Handwerker.
Auch Räuberbanden, welche bereits im frühen Mittelalter existierten, hatten intensiven Kontakt mit den Vaganten . Ihre "große Zeit" kam aber erst im 18. Jahrhundert . Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war die Ansicht vorherrschend, dass Gauner keinen festen Wohnsitz haben können, was bezeichnend für die mangelnde Differenzierung des fahrenden Volks ist. Es läßt sich unschwer erkennen, welchen Status die "Nichtseßhaften" zu dieser Zeit hatten. Die Vagantenpopulation im 18. Jahrhundert machte mindestens 10 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, was nicht zuletzt auf den ambulanten Handel, also die von Hof zu Hof reisenden Hausierer, zurückzuführen war. Nicht jeder Vagant war somit auch gleichzeitig ein Gauner.
Eine besondere Rolle in dieser Sprechergemeinschaft bildeten die Juden. Aufgrund zahlreicher Repressionen und Aussagen war ihnen kein anderes Handwerk als das des Handels erlaubt, was zur Folge hatte, dass es keine nichtjüdischen Kaufleute gab . Aber nicht nur Händler, sondern auch jüdische Diebesbanden bestimmten das Bild der Vaganten. Aufgrund des hohen Drucks seitens der Gesellschaft schlossen sich vereinzelt jüdische Räuberbanden zusammen, die die Repressalien der Obrigkeit nicht weiter hinnehmen wollten. Händler wie Räuber hatten Kontakt mit den umherziehenden Vaganten und trugen so zur Vermengung der Wortschätze und somit zur Entstehung des Rotwelschen bei. Von einer unverhältnismäßig hohen Beteiligung der Juden kann jedoch keine Rede sein.
Zwischen dem Rotwelsch des fahrenden Volks und den noch vereinzelt zu beobachtenden Resten in Städten und Gemeinden bestehen nicht nur Gemeinsamkeiten in Bezug auf das verwendete Vokabular, sondern auch bezüglich der Funktion der Geheimsprache.
Die sprachliche Absonderung mittels einer Geheimsprache hatte und hat vier Gründe:
1. Informationsschutz,
2. Gefahrenabwehr,
3. Täuschungsabsicht,
4. Integration.
Während die ersten drei Funktionen eher auf die Umgebung gerichtet sind und primär auf Schutz oder Betrug abzielen, so bezieht sich der vierte Punkt auf die Sprechergemeinschaft selbst und stellt vermutlich die wichtigste Funktion der Sprache dar.
Lange Zeit ging man davon aus, dass das Rotwelsche allein aus Gründen der Geheimhaltung erschaffen und geprägt wurde, was vor allem auch ein gesteigertes Interesse von Kriminalisten wie Ave Lallemant, Günther und Groß Seelig erklärt. Bereits im "Baseler Rathsmandat wider die Gilen und Lamen", welches die Grundlage für den Liber vagatorum, eines der bekanntesten Wörterbücher des Rotwelschen, bildete, geht es vorrangig um Aufklärung und den Schutz vor Räubern und Betrügern. Vor allem gegen Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden geheimsprachliche Wortsammlungen mit eindeutig praxisorientierem Ansatz häufiger, wie der Untertitel einer um 1755 erschienenen "Rotwelschen Grammatik oder Sprachkunst" verdeutlicht:
Anweisung wie man diese Sprache in wenig Stunden erlernen, reden und verstehen möge; Absonderlich denjenigen zum Nutzen und Vortheil, die sich auf Reisen in Wirtshäusern und anderen Gesellschaften befinden, das daselbst einschleichende Spitzbubengesindel, die sich dieser Sprache befleißigen, zu erkennen, um ihren diebischen Anschlägen dadurch zu entgehen.
Aufgrund der Geheimhaltungsfunktion des Rotwelschen, gibt es sehr wenige Primärquellen, nahezu alle Quellen sind also Aufzeichnungen aus zweiter Hand. Bemerkenswert ist auch, dass, obwohl das Rotwelsche ab dem 18. und vor allem im 19. Jahrhundert nicht länger der Tarnung von Gaunern und heimatlosen Vaganten diente, es auch dann noch weiter benutzt wurde, als die Fahrenden ortsansässig oder stadtansässig wurden.
Bereits in der Frühzeit des Rotwelschen spielte die Identifikationsfunktion eine wesentliche Rolle, der jedoch erst in der jüngeren Rotwelschforschung Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im Falle des Rotwelschen gehört der Erwerb der Sondersprache zur gruppenspezifischen Sozialisation. Betrachtet man die Situation der Sprechergemeinschaft, so kann die Bedeutung des Rotwelschen kaum überschätzt werden. Im Allgemeinen werden drei Positionen unterschieden, wenn es um das Verhältnis zwischen Sprache und Gesellschaft geht:
1.Sprache reflektiert soziale Ungleichheiten. Demnach wäre das Rotwelsche eine Sprache, die aufgrund sozialer Unterschiede aufgekommen ist. Die Vaganten, "der fünfte Stand", waren in der Tat sozial ausgegrenzt.
2.Soziale Unterschiede werden durch sprachliche Unterschiede erst geschaffen. Wenngleich es auf den ersten Blick nicht so scheint, so dürfte ein kleiner Teil der Vaganten sich ihnen aus freien Stücken angeschlossen haben, wie beispielsweise die fahrenden Schüler. Ebenso trifft diese Position auf die Gruppe der Gauner und Betrüger zu, die bewusst andere ausgrenzen, sich gegenüber Gleichgesinnten jedoch identifizieren wollten.
3.Sprache ist ein Spiegel sozialer Verhältnisse, erzeugt jedoch auch Realität. Diese Synthese der ersten beiden Positionen spielt vor allem im heutigen Kontext eine wesentliche Rolle.
Während in den frühen Jahren des Rotwelsch vermutlich besonders die erste und zweite Position vorherrschend vertreten sind, so wandelte sich die Gestalt der Sondersprache bis in die heutige Zeit. Die Wechselwirkung zwischen Sprache und Gesellschaft ist einer der wesentlichen Ansatzpunkte der Forschung. Erich Bischoff deffnierte 1916 das Rotwelsch als Klassensprache. Da die Sprechergemeinschaft über die Jahrhunderte nicht konstant war, sondern jeweils weitere Gruppen sich des Rotwelschen bedienten, ist die Einteilung als Klassensprache nicht ganz zutreffend. Von Beginn an gehörten zu den Sprechern des Rotwelschen Verbrecher, Diebe und Spitzbuben, Landsknechte, Dirnen, Bettler, Landstreicher, Walzbrüder, Kunden, Stromer und Scharfrichter, Schinder und Abdecker. Obwohl sie eine eigene ethnische Gruppe bilden, wurden Juden sowie Zigeuner häuffg zur Klasse der Rotwelschsprecher hinzugerechnet. Im 18. Jahrhundert kamen Krämer, Händler, Hausierer und Wandermusikanten und ambulante Handwerker zur Sprechergemeinschaft hinzu, die jedoch sozial anders einzustufen sind. Die ersten sechs Gruppen lassen sich, verallgemeinert gesagt, zu den "unehrlichen Leuten", den Friedlosen, Besitzlosen oder zum fahrenden Volk zählen. Für die beiden letztgenannten Gruppen dürfte das Rotwelsche hingegen vielmehr den Status einer Berufssprache, statt einer Kastensprache bekleiden. Daraus läßt sich folgern, daß sich beim Rotwelsch entgegen traditioneller Auffassung die Merkmale von Geheimsprache, Berufssprache, und Klassensprache nicht dividieren lassen.