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Post by Katrin Coquillarde on Mar 6, 2007 18:53:53 GMT -5
Die Spessarträuber und ihr Wald. Blick hinter ein Traumbild Herbert Bald
Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Burschen durch diesen Wald. Der Abend war schon heraufgekommen, und die Schatten der riesengroßen Fichten und Buchen verfinsterten den schmalen Weg, auf dem die beiden wanderten. Felix, der Goldarbeiter, sah sich oft ängstlich um. Wenn der Wind durch die Bäume rauschte, so war es ihm, als höre er Tritte hinter sich. Wenn das Gesträuche am Wege hin und her wankte und sich teilte, glaubte er Gesichter hinter den Büschen lauern zu sehen. Man hatte ihm vom Spessart so mancherlei erzählt. Eine große Räuberbande sollte dort ihr Wesen treiben, viele Reisende waren in den letzten Wochen geplündert worden, ja man sprach sogar von einigen greulichen Mordgeschichten, die vor nicht langer Zeit dort vorgefallen seien. (Wilhelm Hauff, Das Wirtshaus im Spessart, 1827)
Der Spessart, das dicht bewaldete Mittelgebirge zwischen Mainviereck, dem hanenkamm nordwestlich von Aschaffenburg, dem Kinzigtal, dem Südrand des Schlüchterner Beckens und dem Sinntal, war von alters her der Raum düsterer, mithin besonders anziehender Phantasien - vornehmlich in den Köpfen derer, denen es nicht vergönnt oder erspart geblieben war, in dieser Region ihr Dasein zu verbringen. Und seit dem 1957 nach Wilhelm Hauffs Erzählung gedrehten Film "Das Wirtshaus im Spessart" mit Liselotte Pulver kann modernes Touristik-Management nach der griffigen Formel Spessart = Räuberwald steigende Besucherzahlen kalkulieren. Wenn vermummte Gestalten im Auftrag von Kommunalbehörden oder Gastronomen erschrockene Wanderer zum Räubersteak am Lagerfeuer entführen, dann ereignet sich ein Märchen, das man im Rundum-Paket schon zu Hause gebucht hat: "Der Spessarträuber ist da." Der Spessartwald als Räuberwald: Was verbirgt sich hinter dem romantisch-komödiantischen Bild? Tatsächlich war der Spessart einst Schauplatz von Diebstahl, Raum und - zuweilen - Mord, ebenso wie der benachbarte Odenwald, die Wetterau und der Vogelsberg. Auskunft geben Kriminalisten des frühen 19. Jahrhunderts wie die Beamten Pfister, Grolman und Brill in ihren dickleibigen "aktenmäßigen Geschichten"; auch überlieferter Schriftverkehr der untergeordneten Behörden vor Ort beklagt immer wider die zerrüttete Landessicherheit.
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 6, 2007 19:09:12 GMT -5
Frühe Nachrichten über die heute so genannten Spessarträuber datieren aus den Jahren 1395/96, als Frankfurter Kaufleuten bei Neustadt a.M. eine Ladung Wein abhanden kam. Chaotisch war die Lage im Dreißigjährigen Krieg, der die Grenze zwischen "rechtmäßiger" Requirierung und illegalem "Parteigang" verwischte, und als marodierende Horden im Spessart Kaufleute "zu verschiedenen Malen spolyrten". Nach ruhigeren Jahren häuften sich zu Ende des 18. Jahrhunderts die alamierenden Berichte und Verordnungen der kurmainzischen und anderer Obrigkeiten, Diebstahl und Raum im Spessart betreffend, nicht nur wegen fortschreitender Schriftlichkeit bei der Herrschaftsausübung: Der "anhaltende Kriegstaumel" der Koalitions- und napoleonischen Kriege ab 1792, der nach den Worten des Mainzer Kurfürsten Friedrich Karl v. Erhal "jede gute Ordnung unterbricht", also die Staatsapparate Europas ebenso ins Wanken brachte, wie die Moral der von Kontributionen, Plünderungen und wirtschflichen Krisen heimgesuchten Untertanen, ließ überall die Kriminalität zunehmen. "Deserteurs, Maraudeurs, Diebe, Vagabunden, Juden jeder Art, Bettler, strömen zusammen und treiben ihr Wesen oft unter ganz neuen, durch die Gewohnheit an Krieg sehr mutvollen, nicht selten genialischen Vorstellungen - oft so genialisch, daß säumige junge Leute, welche zu diesem Handwerke gar nicht geobren sind, sich ebenfalls dazu hinreißen lassen", wie der Aschaffenbruger Landesdirectionsrat Molitor 1809 beschreibt - nicht ohne die üblichen Dramatisierungen, mit denen der Gaunerjäger seine Arbeit gegenüber dem Dienstherren heroisiert, und die ebenfalls behörenüblichen pauschelen Etikettierungen, die Vagabunden, Bettler und Juden kurzerhand zu kriminellem Gesindel sortieren. So ist denn auch für den Spessart vom späten 18. Jahrhundert bis 1810/11, im hier hauptsächlich interessierenden Zeitraum, eine ganze reihe bedeutender Überfälle mit ausschließlich kriminellem Hintergrund nachweisbar, begangen zum Zweck des Beutemachens und verbunden mit direktem Angriff auf die Opfer oder gewaltsamer Bedrohung. Die Täter waren professionelle Gauner, von enen hier ausschließlich die Rede sein soll.
Straßenraub:
1806: 1 bei Eschau; 2 zwischen Lengfurt und Aschaffenburg 1807: 1 bei Burgsinn 1808: 1 bei Wohnrod (1 Toter); 1 zwischen Altengronau und Steinau; 1 Versuch bei Oberdorf; 1 bei Wirtheim; 1 zwischen Altenhaßlau und Höchst; 1 bei Mömbris; 1809: 1 bei Frammersbach; 1 bei Rohrbrunn; 1 bei Altenhaßlau; 1 zwischen Steinau und Ahl; 1 bei Orb; 1 bei Kempfenbrunn; 1 zwischen Salmünster und Steinau; 1 zwischen Schweinheim und Obernau; 1810: 1 bei Oberbessenbach; 1 bei Bieber; 1 bei Waldaschaff; 1 bei Rohrbrunn; 1 zwischen Strßbessenbach und Eichelsbach; 1811: 1 zwischen Gelnhausen und aufenau; 1 bei Gelnhausen;
Einbruch mit Gewalt gegen Personen:
1803: 1 in Sommerau 1805: 1 in Neuenbuch 1806: Versuche in Eschau 1807: 1 in Geislitz; 1 in Dettingen (ein Toter); 1 bei Breitenborn;
Kleinkriminalität im Spessart, das heißt Einbruch ohne direkte Gewalt gegen Personen und Diebstahl, häuft sich nach der Überlieferung 1803 sowei ab 1806. Ein Zusammenhang mit den Hungerjahren 1802/03 erscheint für die Kleindelikte wahrscheinlich, kann aber nicht zwingend belegt werden. Ab 1806 stürzte Napoleons gegen England gerichtete Kontinentalsperre Deutschland in eine schwere Wirtschaftskrise, die vom Agrarbereich auf die anderen wirtschaftlichen Bereiche durchschlug und sozial demoralisierende Auswirkungen hatte. Wie anderswo stieg auch im Spessart-Odenwald-Raum die Zahl kleiner und großer Delikte zwischen 1806 und 1810/11 dramatisch an. Strukturelle verwerfungen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung im Spessart leisteten der Instabilität Vorschub: 1806 wurden durch die Mediatisierung mehrere kleine Herrschaften ins Dalbergsche Fürstentum Aschaffenburg (ehemals kurmainzisches Oberes Stift) integriert, zu dem bereits ein Großteil der Waldregion gehörte. Zugelich kamen westliche und nördliche Landstriche unter französische Militärverwaltung, die diese Gebiete rücksichtslos ausbeutete. 1810 gingen sie dann zusammen mit dem größten Teil des restlichen Speassarts im Großherzogtum Frankfurt auf. Derartige Veränderungen hatten einen doppelten Effekt: Einerseits bedurften die neuorganisierten Mühlen der obrigkeitlichen Bürokratiee einer gewissen Anlaufzeit, andererseits musste mittel- und längerfristig die Tendenz zru vEreinheitlichung der Herrschaftsräume die Strafverfolgung effektiver machen. Was die Schwerkriminalität im Spessart angeht, beginnen die unsichersten Jahre erst 1807/08. 1807 trat Johann Adam Heußner (Heusner) alias Roter Hannadam, in der Szene prominent, erstmals im Spessart als gewalttätiger Einbrecher bei den spektakulären Überfällen von Geislitz und Breitenborn auf. In Geislitz hatte er noch seinen Spießgesellen Johann Adam Wehner alias Treber bei sich. Im Juli 1808 beteiligten sich beide am Überfall zwischen Altengrosnau und Steinau, im Spätherbst wurde Heußner nochmals bei Wirtheim sowie zwischen Altenhaßlau und Höchst aktiv. Vor allem der Rote Hannadam scheint die Region für gewaltsame Überfälle - eventuell auch indirekt über den Nachahmungseffekt - verstärkt empfohlen zu haben, wie die hohe Zahl der Coups in der Folgezeit zeigt. Die Fähigkeiten Heußners als Ideengeber und Anstifter sind aktennotorisch, hatte er doch zum Beispiel Wehner und den Meisterdieb Johann Kinzinger auf die schiefe Bahn gebracht. Gefährdet waren Seßhafte und Reisende vor allem in den dichten besiedelten westlichen und südlichen Zonen des Waldgebirges, wo Ware und Geld sich konzentrierten oder zumindest "Die Not im Spessart" nichtallzu sehr drückte, also Beute zu erwarten war: im Ausstrahlungsbereich bedeutender Wirtschaftsräume wie dem Rhein-Main-Gebiet, im Umfeld von Eisenhämmern (zum Beispiel Hasloch und Elsavatal), Glashütten, Bergwerksbetrieben und Salzgewinnungsanlagen (Kahl, Bieber, Orb) sowie in der Nähe nahrhafter Kleinstädte des Mainvierecks. An der westlichen und südlichen Peripherie des Waldgebirges befand sich die Landwirtschaft aufgrund fruchtbaren Bodens in einer besseren Lage als im zentralen und nördlichen Bereich, wo die Bewohner am Existenzminimum lebten. Eine besondere Anziehungskraft auf die Gauner übten durch den Wald trassierte Verkehrswege aus: vor allem die Spessarter Chaussee (die gesteinte Poststraße), seit dem 16. Jahrhundert als Verbindung zwischen den Handelsstädten Nürnberg und Frankfurt genutzt, die bei Lengfurt über den Main führte (Fährverbindung) udn den Spessart bis Aschaffenburg durchquerte, sowie die Frankfurter Straße (Hohe Landstraße), die von der Mainmetropole über Fulda nach Leipzig verlief. Den Ort gaunerischer Aktivitäten bildete der Wald, und Pfister empfielt im Kampf gegen das Verbrechen demgemäß auch Axt und Säge: "Unter diese Anstalt gehört ... das gänzliche Abtreiben oder völlige Lichten der auf die Landstraßen stoßenden, besonders jugnen dichten Waldungen, weil diese den Räubern vorzüglich die Punkte darbieten, welche ihnen zu Ausführung des Raubs unentbehrlich sind. Nämlich Punkte, wo sie sich gänzlich verbergen oder als ausruhende Wanderer minder verdächtig aufhalten, wo sie sich leicht Prügel verschaffen und diese verstecken, - von wo aus sie den plötzlichen Überfall bewirken und von wo aus sie leicht mit dem Raube sich entfernen können". Aber auch Diebe - die meisten Gauner arbeiteten in beien Metiers - schätzten den Wald als Formierungs- und Rückzugsgebiet. Er liefete schließlich die wichtigste Räuberwaffe, den Prügel. Bevorzugt wurden "armdicke, frisgeschnittene junge Buchen": "Ein Prügel ... geht, wie sie die Räuber, sagen, alle Puff los und trifft sicher", im Unterschied etwa zu den Vorderladern. Die Folgen körperlicher Gewalt wurden kalkulierbarer, die Waffe konnte leicht beschafft, versteckt oder beseitigt werden. So wurdne selbst beim Raum vomo 5. Juli 1808, als im Forst bei Altengronau sieben Gauner achtzehn (!) Händler angriffen, die von Zeitlofs nach Steinau zogen, Pistolen nur zur Bedrohung verwendet udn die sich wehrenden Opfer mit Knütteln mißhandelt. Schusswaffen dagegen spielten eine größere Rolle bei den Hauseinbrüchen mit Gewalt gegen Personen, wovon weiter unter die Rede sein soll.
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 7, 2007 4:19:30 GMT -5
Vergleichsweise hohen apparativen Aufwand hatten die Räuber betrieben, die am 13. November 1787 auf der Spessarter Chaussee zwischen Esselbach und Rohrbunn einen Postwagen ausgeplündert hatten. Die sechs Gauner stoppten den Wagen an einer vorher sorgfältig ausgekundschafteten günstigen Stelle im Wald, rissen den Postillion vom Pferd und zündeten Rauchbomben, kleine, auf Pistolenmüdungen gebundene Säckchen mit Schwarzpulver, die ins Innere des Wagenkastenss gehalten wurden und durch den Schuß explodierten. Von Blitz, Knall, Rauch und dem Stakkato von Prügelschlägen auf den Wagenkasten geschockt, taumelten die Passagiere samt Kondukteur (Schaffner) aus der Kutsche und wurden gefesselt; einen Engländer, "der kein Deutsch gesprochen" und "sich nicht hatte geben wollen", schlugen die Räuber nach Aussage des Mittäters Johann Georg Bauer zusammen, "bis er liegen geblieben". Dann wurden die Frachtkisten mit Sechen (Pflugmessern) aufgebraochen. Das Sech fand in Gaunerkreisen des 18. Jahrhunderts häufige Verwendung als Brech- und Stemmeisen. Man montierte es einfach aus Pflügen heraus, die am Wegesrand abgestellt waren. Der Koammandant der Gruppe, Johann Bopp, genannt Klemm, trug einen aus mehreren Eisenplatten zusammengesetzten eisernen Brustpanzer und eine eisterne Gesichtsmaske, "so vorsichtig verfertigt", dass im Falle der Gegenwehr "unmöglich ein Schuß angebracht" werden konnte. Die wichtigste Beute bestand in Geld, rund 5000 Gulden, eine Rekordsumme in der Kriminalgeschichte des Spessarts. Von Professionalität zeugt bereits die Vorbereitung des Raubs und das des Durchkalkulieren der Risiken. Anlaufstelle der weit umherschweifenden Bandenmitglieder war das Haus Sebastian Heidelmaiers in Aufenau bei Orb, wo der Anstifter zum Spessarter Coup zugleich eine Falschmünzerei betrieb - eine recht modern anmutende, damals untypiscshe Diversifizierung des Verbrechens. Von Aufenau aus wurde "beym ersten Gange" die Stelle für den Überfall ausgesucht, Panzer und Seche am zukünftigen Tatort "in die Hecken gesteckt". Zweimal wurde das Projekt jedoch abgebalsen; zuerst, so Bauer, "seye... zu viel Mannschaft auf dem Postwagen gewesen", beim zweiten Versuch sei "eine Frau mit Kind darinne gewesen, da hätten sie (die Gauner) gesagt, wenn sie hinein schössen so käme das Kind ums Leben, und das könnten sie nicht verantworten". Beim dritten Mal, am 13. November, wurde der Postwagen ählich wie bei den vorigen Versuchen, von zwei aus Aufenau in weitem Umweg über Lohr und dann mainabwärts angereisten Banditen an einem Wirtshaus in Lengfurt ausgespäht, wo das Gefährt per Fähre über den Main setzen musste; die Situation schien nun erfolgversprechend, da die Kutsche nicht voll besetzt und "der Conducteuer ein alter Mann" war. Die beiden Kundschafter eilten dem Wagen nach, überholten ihn in Esselbach und begaben sich mit der guten Nachricht "grade voraus auf den vorbestellten Platz". Dort warteten bereits die anderen vier Kumpane. Sie waren von Aufenau aus über den Spessart gewandert, und zwar, um jeden Zusammenhang zu vertuschen, "in 2 Abteilungen"; zwei Gauner hatten sich dabei als wandernde Geschirrhändler getarnt. Vorraussetzung solcher nach außen hin gänzlich unauffälligen Zusammenrottung und Nachrichtenübermittlung war eine präzise Koordination. Sie zeichnete die Coups dieser sogenannten Posträuberbande bei Göttingen, Coburg, Marburg, Mühlhausen, Schmalkalden, Paderborn und Worms aus. Insgesamt lasteten die Ermittler den Räubern immerhin zwölf Überfälle an. Ein Projekt bei Kaiserslautern war geschweitert. Andere Gauner begnügten sich mit bescheidenerer Ausrüstung und vertrauten - wenig geschäftsmäßig - dem Zufall als organisierende Instanz: So Ende September 1810, als der Räuber Philipp Friedrich Schütz alias Mannefriedrich und vier Genossen auf gut Glück vom Neuen Wirtshaus bei Hanau aus in Richtung Spessart zogen, um von Fuhrmannskarren "zu steheln, was für sie brauchbar seyn könne". Bei Kahl fanden sie gleich mehrere vor einem Wirtshaus abgestellte Karren, deren Ladung jedoch unattraktiv war, da sie nur aus Wolle bestand. Am nächsten Tag trieb man sich zunächst bei Aschaffenburg herum, Mannefriedrich kaufte in der Stadt eine Wurst und Krähenaugen, ein in Gaunerkreisen beliebtes Gift zur Tötung von Wachhunden. Bei Straßbessenbach traf die Gruppe dann zufällig erneut auf abgestellte Fuhrwerke, doch mißlang die Vergiftung der Hunde. Die Banditen wanderten auf der Poststraße wieter in den Spessart hinein bis Rohrbrunn. Mittlerweile war es Nacht geworden. Man konnte aber auch an den "Jägerhäusern... nicht ankommen, weil die Einwohner noch munter waren und Licht hatten". Erst als man wieder umgekehrt war und sich schließlich zum Schlafen am Wegesrand hingelegt hatte, nahte am dritten Tag der Unternehmung die ersehnte Gelegenheit: Am frühen Morgen des 1. Oktober 1810 weckte das Rumpeln einer vorbeifahrenden Chaise die Gauner, die nun sofort reagierten. Zunächst versuchten sie, den hinten am Gefährt aufgepackten Koffer während der Fahrt loszuschneiden, was mißlang, da er festgeschraubt war; daraufhin wurde eines der Zugpferde niedergeschlagen, und das Fahrzeug kam zum Stehen. Die Räuber trommelten - wiederum mit Knütteln - auf den Wagen und versuchten, ihn umzuwerfen. Kutscher und Passagiere, darunter der Nürnberger Kaufmann Söltel, ergriffen die Flucht, verfolgt von nachgeworfenen Steinen und Prügeln. Die Gauner entkamen mit Geldrollen, Schmuck und Kleidung im Wert von 1200 Gulden. Trotz der ansehnlichen Beute und der Reaktionsschnelligkeit der Räuber nimmt sich das Rohrbrunner Gelegenheits-Verbrechen, das in seiner Genese und Machart nicht alleine steht, geradezeu amateurhaft aus, verglichen mit dem minutiös vorbereiteten und zügig ausgeführten Überfall von 1787 und auch it dem oben erwähnten Raub von 1808, bei dem Tatort und Tatzeit im vorhinein durch einen eigenen Nachrichtensammler und Informationsgeber genau baldowert waren. Das dramatisierte Bild vom stets gierigen, dabei plan- und ziellos durchs Dasein taumelnden Gesellschaftsfeind, das häufig die Diktion der zeitgenössischen Akten und Polizeiwerke bestimmt, fand in Gaunerzügen wie dem des Mannefriedrich und Consorten scheinbar Bestätigung. Aber auch die positive Wendung dieses Schreckbildes ließ nicht auf sich warten: Bereits mit Vulpius' "Rinaldo Rinaldini" (1797-1800) und - literarisch gewichtiger - mit Hauffs romantischem Räuberhauptmann träumte der lesende Bürger vom Abenteurer, der ohne das Korsett des durchorganisierten Werkeltags, ohne Geschäftsrücksichten, Konventionen und Zukunftssorgen die Intensität des Augenblicks lebt, unter freiem Himmel und in seinem wilden Wald. Denn bei aller Freiheit ist Hauffs Gesetzloser durch die Wahl der Tatorte in einem fest umrissenen Rayon beheimatet, und damit wird der Traum durch namentlich benannte reale Landschaften ebenso beglaubigt wie in seiner Wirkung sozialhygienisch eingegrenzt. Das Wunschbild erbaut, aber der Träumende belibt in seinem biederen Lebenswandel unversucht, weil es die schöne Anarchie nur weitab im tiefen Spessart gibt.
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 7, 2007 4:53:09 GMT -5
Die Fahndung nach wirklichen, bodenständigen Banditen, die im Waldgebirge geboren oder aufgewachsen sind und die sich hauptsächlich dort betätigten, also nach den laut Fremdenverkehrswerbung weiland so zahlreichen genuinen Spessarträubern, fällt wenig erfolgreich aus: Der Räuber und Falschmünzer Sebastian Heidelmaier und seine Söhne wohnten zwar in Aufenau, die Bande beging jedoch nur einen einzigen Coup im Spessart, da die Nachbarschaft von Tatort und Unterschlupf ein ziemliches Risiko darstellte. Johann Adam Wehner, alias Lauk, Treber, Schnallenmacher oder Kleiner Johann, eingestuft als "höchstgefährlicher weitumherstreifender Räuber", wurde als unehelicher sohn um 1775 in Schwärzelbach bei Hammelburg geboren; der Vater, ein Schäfer und damit Angehöriger der Unterschicht, verließ die Familie, und die Mutter zog mit dem erst wenige Wochen alten Hannadam nach Heigenbrücken in den Spessart. Dort versuchte sie, sich und das Kind "mit Stricken und andern gröbern weiblichen Arbeiten" durchzubringen. Sie heiratete den Heigenbrückener Hirten Gehret Lenz, mit dem sie dann noch zwei weitere Kinder hatte. Nach Lenz' Tod betrieb die Familie Gänse-, Ziegen- und Schafzucht und arbeitete zusätzlich im Taglohn. Trotz der knappen wirtschaftlichen Verhältnisse erhielt Wehner Schulunterricht und nach eigener Aussage "eine ordentliche Erziehung" durch seine Mutter. Später versuchte er, das Einkommen durch Hausieren mit Kurzwaren in der Aschaffenburger Gegend aufzubessern. Um 1795 zog er mit seiner "Beischläferin" Maria Magdalena Borgerin ins Hohenlohische, wo er neben seinem Kurzwarenhandel auch Körbe herstellte und Irdenware verkaufte. Mittlerweile zweifacher Familienvater, sah er sich nun bereits gezwungen, gelegentlich mit kleinen "Felddieberreien" die Versorgung sicherzustellen. Auf seinen ausgedehnten Geschäftsreisen, die ihn auch wieder in die Aschaffenburger Gegend führten, kam er mit umherschweifenden professionellen Kriminellen in Kontakt, vor allem mit dem etwa drei Jahre jüngeren Erzgauner Johann Adam Heußnr. Ein unbedeutender Diebstahl an einem Hausierer im Kahlgrund brachte den verdächtigen Wehner, dessen Tatbeteiligung immer zweifelhaft blieb, 1802 in Aschaffenburger Haft, von wo aus er "an das Kaiserl. Oestreichische Militär abgegeben wurde". Er desertiere noch 1802 im böhmischen Komotau und kehrte in den Spessart zurück, wo er wieder mit Heußner zusammentraf. Sein Krämerkasten und selbst die Zivilmontur waren ihm von den Aschaffenburger Ordnungshütern zur Begleichung der Haftkosten abgenommen worden, so dass er, obrigkeitlicherseits jeder Einkommensquelle beraubt, für "die verführerischen Reden J. A. Heussner's" zunehmend empfänglich wurde. Die folgenden Jahre waren geprägt von einer kriminellen Karriere, immer wieder unterbrochen durch Haft und Ausbruch. Unstet zog der Kleine Johann bis nach Frankreich und ins Böhmische. Nicht glücklos im Geschäft, hielt er sich "auch immer, besonders weibliche Dienstboten", aus denen er sich eine Beischläferin kürte. Der Spessart blieb Arbeitsbereich: So war Wehner in den Jahren zwischen 1807 und 1810 am gewaltsamen Einbruch in Geislitz, an Straßenüberfällen zwischen Altengronau und Steinau, bei Altenhaßlau, Rohrbrunn, Bieber und Gelnhausen sowie kleineren Einbrüchen und Diebstählen beteiligt. Im Spessart endete auch sein zerfahrenes Gaunerdasein. 1813 wurde er bei Jakobsthal verhaftet, nach Aschaffenburg geliefert und dort wahrscheinlich 1815 hingereichtet. Den Kleinen Johann als Spessarträuber zu vereinnahmen, greift angesichts seines weiten Aktionsradius allerdings zu kurz. Keine biografischen Details sind bekannt von Johannes Knaut aus Weibersbrunn, vulgo Eselskinnbacken. Im Spessart betätigte er sich nur gelegentlich als Dieb, 1808 war er an einem versuchten Straßenraub bei Oberndorf beteiligt. Sein Hauptverbrechen verübte er außerhalb des Spessarts mit dem Überfall auf die Aumühle im Fuldischen 1808. Ebensowenig ein originaler Spessarträuber war der Polengängers Michel, Michael Borgener, als Sohn eines aus Büdingen stammenden, ohne festen Wohnsitz umherstreifenden Bettlers und seiner "Beischläferin" zwischen 1777 und 1779 in Flörsbach geboren. Korbmacher, Musikant und Keramikhändler, zog er gleichfalls unstet herum, ohne sich auf den Spessart zu begrenzen. Immer schon Angehöriger der untersten Schicht in der gesellschaftlichen Hierarchie, des Vagantentums, hatte er engste Berührung mit dem kriminellen Milieu, so dass der Schritt zum Dieb nur klein war, zumal seine drei Schwestern intime Beziehungen zu Gaunern pflegte. Er wurde offenbar nur als Dieb aktiv, vornehmlich im Nordspessart. Eine Beteiligung an Räubereien konnten ihm die Kriminalisten nicht nachweisen. Der Spessartjörg schließlich, Georg Fehn, erfüllt trotz seines heute so werbeträchtig klingenden Namens ebenfalls nicht das Klischee. Um 1780 in Wiesenfeld oder Hausen (Landkreis Main-Spessart) geboren, wechselte er zwischen einem Vagabundendasein und kurzfristiger Arbeitsstellen als Feldschütz oder Hirte im Spessart und in den nahen Maingegenden. Sein hauptsächliches Metier war der unspektakuläre Diebstahl; im Spessart wird ihm nur ein Straßenraub zwischen Mönchberg und Fechenbach zugeschrieben. Bei einem Einbruch in Sommerau solle r 1814 erschossen worden sein. Alle im Spessart aktiv gewordenen Delinquenten praktizierten, soweit nachweisbar, im Waldgebirge nur besuchsweise, denn schon die ständige Angst vor Verfolgung erforderte hohe Mobilität zumindest in der weiteren Region. Dass die große Mehrheit der Gauner nicht aus dem Spessart stammte, widerlegt die häufig kolportierte und plausibel scheinende These, dass der Waldpauperismus dieses Gebiets mehr oder weniger zwangsläufig auch zur Kriminalität in dieser Landschaft führen musste. Wenn ein Individuum auf die schiefe Bahn geriet, standen am Beginn allerdings fast stets Armut und soziale Deklassiertheit, aus welchen Ursachen auch immer, im Verein mit der Verführung durch dubiose Bekannte. Biografien wie die Wehners oder Borgeners wiederholen sich in den Verhörprotokollen geradezu stereotyp. Kristallisationspunkte romantischer Träume im Realen bot die Szenerie des Räuberwalds Spessart also kaum. Die Lebensgeschichten zeigen die Gauner nicht als souveräne Gesetzesbrecher, sondern eher als umhergeworfene Opfer der Gesellschaft, verstrickt in einen Überlebenskampf. Auch wenn die Banditen neben jämmerlich anmutenden Delikten Aktionen ausführten, in denen sie sich als durchtriebene Organisatoren und Geschäftsleute erwiesen, so felhte doch zum Ruhm die Frechheit, das Kühne und Phantasieanregende der unerhörten Tat - vor allem aber der propagandistische Witz, mit dem ein Schinderhannes sich selbser inszenierte und seine eigene Legende für die Nachwelt beförderte. Wo die Wirklichkeit fürs Publikum nichts hergibt, entwickelt der marktkundige Poet Hauff als attraktive Spessartfigur einen irrealen Kunst-Räuber. Sein Hauptmann ist, wie der Autor in wenigen Worten, aber um so vielsagender andeutet, gegen seinen Willen durch ein düsteres Schicksal offenbar aus höheren Gesellschaftskreisen in ein apartes Milieu verschlagen worden, wo er den ungeheuerlichen Plan aussinnt, eine Gräfin zu entführen, um nicht durch Überfälle auf Kaufleute und Postwagen gleich "mehrere Leute auf immer ins Unglück" zu stürzen. Als innerlich stets frei gebliebener Charakter aber wird der schmucke Bandenchef am Ende allem Bösen entsagen und sich der Streitmacht des Guten stellen. Stimmig ist auch das Ambiente, in dem jeder Märchenräuber sich am Wohlsen fühlt: Das Räuberlager ist in einem wilden und erhabenen romantischen Kulissen-Spessart aufgebaut, in einer "tiefel Waldschlucht" mit "hoch hinanstrebenden Felsen", dem symbolisierten Abbild der eigenen Seelenlandschaft. Die Auffindung solcher "Waldschluchten" im Spessart der Wirklichkeit dürfte allerding einige Schwierigkeiten bereiten.
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 7, 2007 5:23:05 GMT -5
Die Waldregion als geheimnisvoll-gefährlicher Raum ist literarische Projektion; für die Gauner war der Walt Geschäftsgebiet. Doch gab es weder eine säuberliche Aufteilung der Reviere noch feste Organisationen zu ihrer Verwaltung. Der Inbegriff gaunerischer Gesellung bis heute ist die Bande. Sie bildete die Grundlage krimineller Aktivität, schon weil sie größere Projekte und Gewinne möglich machte und das Risiko des Einzelnen kalkulierbar hielt. Darüberhinaus bot sie leistungsfähigen Mitgliedern "gewisse soziale Chancen". Die Bande - im Sinne eines verschworenen Geunervereins mit dem Chef an der Spitze und fester Hierarchie hinunter bis zum Schmierensteher - hatte in der Realität des späten 18. und 19. Jahrhunderts allerdings kaum mehr Platz. Ein solches Organistionsmodell, wie es auch Hauff schildert, entsprach eher dem ordentlichen, vom Obrigkeitsstaat als der gaunerischen Strategie, die in einer Zeit allmählich effektiv werdender Strafverfolgung auf Flexibilität und bewusst gepfelgete Unübersichtlichkeit setzte. Der Kriminalist Pfister klagt: "...man... wird finden, daß ihre (den Gaunern im Odenwald, Spessart und den Maingebieten;) Gesamtheit allerdings eine Räuberbande genannt werden kann, in so ferne man unter dem Ausdruck Bande, eine Anzahl in Verbindung stehender Menschen, ohne bestimmte Rücksicht auf die Dauer und Festigkeit dieser Verbindung versteht; Daß sie aber zu einer förmlich organisierten, unter einem beständigen Anführer stehenden, nur nach dessen Befehlen handelnden Bande... sich nicht vereinigt hatten; daß sie aber eben darum schwerer zu verfolgen und desto gefährlicher seyen. Gegen eine förmlich organisierte Bande, welche sich nicht so leicht verbergen kann, kann, wenigstens in unsern Gegenden, leichter operirt werden, als gegen eine lose Gesellschaft, welche nach jedem verübten Verbrechen zerstiebt, und so für die einzelnen Glieder Verborgenheit findet." Der Begriff Bande in der zeitgenössischen Polizeiliteratur - nicht nur im Hinblick auf Spessart, Odenwald und Maingebiete - meinte beides: "Übergeordnete Geflechte von zum Teil zahlreichen Delinquenten, die sich kannten und hie und da zu einzelnen Tatan zusammenfanden", ebenso wie diese aus dem jeweiligen Gebiet rekrutierten, "in konkreten Delikten zusammen agierenden Kleingruppen". Was im Großen und oft über weite Regionen zusammenhielt, waren Verwandschaft, informelle Persönliche Beziehungen oder ein Wir-Gefühl; was die Kleingruppen zur anstehenden Untat zusammenführte, waren Kuriere wie etwa die Beischläferin des Gauners Albert Krämer, die zum Überfall zwischen Altengronau und Steinau 1808 "noch drei tüchtige Spiesgesellen... aufzusuchen" hatte, Besuche Interessierter in den Gaunerherbergen als Informationszentralen oder das Sich-Aufdrängen einzelnder Brüder aus Mitwissenschaft. Häufig spilete der Zufall eine entscheidende Rolle. Erst in diesen Tätergrupen wurde für den aktuellen Anlass ein Chef bestimmt, in der Regel ein Kumpan mit einschlägigen Referenzen, der die Befehlsgewalt bis zum Zeitpunkt der Beuteteilung inehatte. Die Beute war das hauptsächliche Motiv gaunerischer Gesellung; verteilt wurde sie - nach durchaus wirtschaftlichen Grundsätzen - gemäß erbrachter Leistung vor und während der Aktion. Bei Streitigkeiten um die Anteile gingen persönliche Verbindungen schnell und oft gewaltätig in die Brüche. Die Namen der großen Gruppierungen, die sie sich selbst gaben oder die ihnen von ERmittlern und Kriminalhistorikern beigelegt wurden, bezeichnen einzelne herausragende Persönlichkeiten, die nicht immer als Räuberhauptmänner fungieren mussten (Hölzerlips-Bande), oder ein hauptsächliches geografisches Aktionsfeld oder Ursprungs- und Rückzugsgebiete mit entsprechendem Bekanntenkreis, die immer wieder und teilweise für längere Zeit, etwa im Winter, aufgesucht wurden (so die Wetterauer und die Vogelsberger Banden). Dabei kamen jüdische Gauner oft weiter herum als ihre christlichen Kollegen, konnten sie doch auf ausgedehten Streifzügen, als harmlose fromme Betteljuden oder Handelsleute getarnt, auch in fremdem Land die traditionelle Hilfsbereitschaft ihrer Glaubensgenossen mißbrauchen und in jüdischen Gemeinden oder Armenherbergen zeitweise unterkommen. Allen Angehörigen der Gaunerverbände, ob jüdisch oder christlich, war die Selbstbezeichnung als Kochemer in Frontstellung gegen die Wittischen gemeinsam. Diese Wörter sind Kernbegriffe der Gaunersprache Rotwelsch und markanter Ausdruck eines Selbstbewusstseins mit eigenen Wertvorstellungen. Beweglich oder diffus wie die komplexen Netzwerke der Kochemer waren auch die Revier-Grenzen im Spessart. Im Norden bis etwa zur Linie Burgsinn-Gelnhausen betätigten sich Mitglieder der Vogelsberger und Wetterauer Banden, ebenso wie die von Pfister so genannten "Räuberbanden an den beiden Ufern des Mains, im Spessart und im Odenwalde". Südlich dieser Linie waren hauptsächlich die Angehörigen letzterer Gruppierung aktiv. Kochemer mit organisatorischem und technischem Geschick wie Heußner und Wehner waren jedoch überall gern gesehen. Vor allem galt dies für Mitglieder der Großen Niederländischen Bande, einem Komplex unter sich verflochtener, ständig fluktuierender Räubergesellungen, die 1790 bis 1802/03vor allem die nördlichen Rheingegenden bis nach Mainz, Holland, Flandern, Brabant und Westfalen unsicher machten. Noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist diese "furchtbare Vereinigung" dem Kriminalisten Avé-Lallemant Anlaß zu schaudernder Bewunderung: "Wie mit einem Zauberschlage" stand die Bande "fertig" da und versetzte "alles in Schrecken... durch die unglaublichste Kunst und Verwegenheit, mit der sie die kühnsten Pläne entwarf und ausführte, und ungeheure Schätze zusammenhäufte." Selbst der Schinderhannes lernte von ihrem "Raubtheater" und durfte Schmiere stehen, wenn der große Picard, einer ihrer Hauptgangster, zu Werke ging. Um 1800 entdeckten die Niederländer das Dörfchen Eckardroth, nordwestlich vor dem Spessart gelegen, sowie die Burg von Gelnhausen als Unterschlupf und Erholungsorte, wobei die eigentlichen Aktivitäten dieser mit einem großen Anteil Juden besetzten Bande weit entfernt stattfanden. Ausnahmen bildeten ein Kirchenraub, wahrscheinlich in Obernburg a. M. 1801, und der Einbruch bei einem Pfarrer, wohl in Ernstkirchen im Spessart. Die eigentliche Überschichtung des Gaunertums im Spessart und anderer Regionen begann jedoch erst nach der Zerschlagung der furchtbaren Vereinigung, ihrer Untergruppierungen und Ableger 1802/03. Versprengte Mitglieder setzten sich nach Osten ab, zogen durch den Spessart in die Gegend des mittelfränkischen Ansbach und von da ins Schwäbische; andere hielten sich noch jahrelang in der Nähe von Frankfurt und in anderen Teilen Hessens auf, wie die Brüder Nicolaus und Georg Harting. Zusammen mit kleineren angelernten Kochemern bildeten sie das Geflecht der Großen Bande und betätigten sich auf ihren weit ausgedehnten Raubzügen 1802 auch bei einem Kirchendiebstahl in Schöllkrippen. Kennzeichnend für die Niederländer waren jedoch die monströsen Einbrüche mit Gewalt gegen Personen. IN der Nacht des 14.Oktober 1803 umstellten 25 bis 30 Bewaffnete - eine ungewöhnlich große Zahl - das Pfarrhaus in Sommerau im Spessart, einige Räuber stiegen durchs Fenster ein, mißhandelten den Pfarrer und seinen Kaplan, um die Verstecke von Geld und Wertsachen zu erfahren. Bevor sie das Haus leerräumen konnten, eilte jedoch eine Gruppe Bauern zu Hilfe. es kam zu einem Scharmützel, bei dem die Kochemer sich schließlich "auf ein französisches Commandowort langsam und immer feuernd" zurückzogen, "den Weg den Berg hginaus dem Walde zu", wo die Schar sich teilte und die Verfolger in kürzester Zeit jegliche Spur verloren. Auch am Überfall auf das Haus des "Gemeinsmanns" Bernard Diem von Neuenbuch am 1. Mai 1805 sowie bei Versuchen in Eschau im Dezember 1806 waren möglicherweise ehemalige Niederländer beteiligt, sicherlich jedoch bei dem Coups von 1807, die den Hausüberfall als ein Hauptstück ihres "Raubtheaters" mit all seinen Szenen zeigen: In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1807 rannten zwölf bis 14 Räuber die Tür des Wirtshauses Krone in Dettingen "nach hergebrachter Sitte" mit einem "Drohn", einem Rennbaum ein, gleich darauf wurden die ersten Zimmertüren aufgesprengt, "Schreibpulte und Comode erbrochen; die Frau von der Seite ihres Mannes (des Wirtes Sitzmann;) hinweg gerissen, sie und ihr Mann auf die Erde geworfen udn mit Betten zugedeckt, auf welche sich einige Räuber setzten... Bald aber zgoen sie sie wieder hervor, banden die Hände und Füße des Mannes und der Frau, welche noch besonders mißhandelt wurde, weil sie sich gegen das Binden sträubte. Der Schreibpult wurde in ihrem Angesichte ausgeleert; dann die Frau die Treppe hinaufgeschleift, um dort noch mehr Geld zu zeigen... Die Frau wurde oben in das Zimmer des Schwiegervaters geschleppt, da hatten schon andere von der Bande geplündert, hierauf in das Zimmer des im Hause wohnenden alten Pfarrers Dürr. Diesem banden die Räuber die Hände auf dem Rücken und die Füße zusammen, warfen ihn auf den Bauch und bedeckten ihn mit Betten. Dann wurde die beklagenswerthe Frau durch alle noch übrigen Zimmer gezogen, gemißhandel und vorgehaltener Pistole bedroht, wenn sie das Geld nicht herausgebe oder anzeige. 5000 Gulden; müßten (so behaupteten die räuber) da seyn; Einer von ihnen trat ihr auf den Hals, dem reichte sie ihren Ring vom Finger als das Letzte was sie habe. Der Räuber nahm in und scheint auch ihrer Versicherung geglaubt zu haben, denn Er und die Üebrigen ließen sie nun liegen und zogen ab. - Der 73jährige Vater des Wirtes wurde gebunden und seines Geldes beraubt. Dessen todkranke Frau wurde von einem der Räuber, welcher in ihr Zimmer gedrungen war, als er ihren Zustand entdeckte, verlassen, ein Anderer aber, welcher wie es scheint weniger gefühlvoll war, durchwühlte ihre Comode, und gab ihr, wahrscheinlich zur leichteren und besseren Erinnerung an diesen Vorfall, zwei Backenstreiche. Sie hielt diesen für einen Juden. - Einem Knechte, welcher aus dem Hause gesprungen war, um Hülfe zu rufenh, wurde mit einer Pistole von einem der außen Wache stehenden in das Gesicht geschossen; - drei Schrote trafen sein Kinn, ein Zahn wurde ihm hinweggeschossen und das ganze Gesicht vom Pulver geschwärzt. Der ganze Vorgang scheint nicht über eine halbe Stunde gewährt zu haben." Nach dem Überfall zogen die Räuber, "mit der gemachten Beute beladen" - sie bestand aus Geld, Kleindern und einrichtungsgegenständen - und "mit brennenden Lichtern, jubelnd aus dem Hause, schossen noch verschiedene Male und als sie die nach Klein-Ostheim führende Brücke erreicht hatten, gaben sie noch eine General-Salve nach Dettingen zurück", zum Entsetzen mehrerer Ortsbewohner, die, mittlwerweile durch en Lärm auf die Straße getrieben, nicht eingriffen. Pfarrer Dürr überlebte den Überfall nicht: Von Messerstichen verletzt, wurde er unter den Betten hervorgezogen und starb wenige Stunden später. Ähnlich lief am 2.73. August 1807 der Sturm auf die Zirkelsmühle bei Breitenborn im Spessart ab, an dem unter anderen der niederländische Veteran Itzig Muck, genannt Schnut, nebst seinem Faktotum Moses teilnahm. Bereits am 12. Januar hatten sechs Banditen beim Schultheißen Geiger in Geislitz gewütet, wo sie zunächst den Hofhund mit Krähenaugen vergiftet und die Bewohner mit Axt und Stchelstock traktiert hatten. In der weiteren Region fanden ähnliche aktionen statt: 1807 in Sonderhofen südlich Ochsenfurt, bei Höchst (bei Frankfurt), 1808 in Eckardroth und 1809 bei Gelnhausen. Der Ablauf blieb im wesentlichen gleich: pünktliches Treffen der oft von weit her zusammengeholten Kochemer an einem verborgenen Ort, zum Beispiel in einem Waldhaus - letztere Besprechung - Marsch zum Tatobjekt - Einrennen der Haustür mit einem Rennbaum - infernalischer Lärm - Festbeleuchtung im Haus - Folterung der Bewohner - Zerstörung des Mobiliars - Einsammeln der Beute - geordneter Rückzug in den Wald. Dieses Ineinander von minutiöser Vorbereitung, brachialem Terror und theatralischer Einschüchterung der Opfer mit Hilfe von Licht und Lärm war niederländisches Standardrepertoire. Die Technik hatte man von älteren Vorbildern übernommen und weiterentwickelt. Sie wurde von anderen kopiert, wie das Beispiel Geislitz zeigt, wo Johann Adam Heußner und sein Freund Wehner beteiligt waren, aber keiner der eigentlichen Lehrmeister. Heußner hatte bereits um 1800 Kenntnis von der Methode erhalten, als er kurzzeitig in der Schinderhannes-Bande mitwirkte, die wiederum von den Niederländern lernte. In jenen Jahren hielt er auch direkten Kontakt zu diesen "Räubergenies", so traf er sich beispielsweise mit Johann Müller, einem Hauptgangster der Neuwieder Untergruppe, weitab vom damaligen Arbeitsgebiet in Lohr. Auch in späterer Zeit riß die Verbindung mit en niederländischen Veteranen nicht ab und wurde gelegentlich des Breitenborner Coups und anderen Untaten immer wieder durch aktive Teilnahme aufgefrischt. Von weit geringerer Bedeutung waren - sieht man von Johann Adam Heußner ab - die Ausstrahlungen der Schinderhannes-Bande in den Spessart, auch wenn, der Publicity des Räuberhauptmanns Brückler gemäß, die Aschaffenbruger Behörden in Fahndungsschreiben und hektischen Ermittlungen über Monate hinweg das Einsickern vertriebener Genossen beschworen. Im Hobbacher Wald aufgespürt und niedergeschossen wurde im Sommer 1802 nur Conrad Eckert (Eckart). Am 10. August erhängte er sich im Aschaffenburger Zentturm.
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 7, 2007 7:59:14 GMT -5
Ständig unterwegs, brauchten die Gauner dennoch feste Anlaufstellen zur Erholung vom Geschäft, als Schutz vor der Winterkälte, als Nachrichtenzentrale, Treffpunkt und Ort, um die Beute zu versilbern oder zu verjubeln. Das persönliche und geschäftliche Netzwark war an die Fixpunkte der kochemer Bayes geknüpft, der Diebesherbergen, und an die Wohnorte der Hehler und Tipgeber. Diese nach außen hin unverdächtigen seßhaften "kochemer Leute", selbst des Rotwelschen kundig, stellten die Verbindung zwischen dem gaunerischen Milieu und der wittischen Welt her. Ohne ihre Doppelrolle war das im Raub und Diebstahl aktive Gaunertum nicht lebensfähig, und damit konzentrierte sich auch die Ermittlungsarbeit der Behörden in starkem Maße auf die Aushebung der Kriminellen in der zweiten Reihe. Auf Hauffs Reisende landen in einem kochemer Bayes. Denn offensichtlich stehen die Betreiber des Wirtshauses im Spessart "im geheimen Einverständnis mit den Räubern", und der wittische Schein ist wiederhergestellt, wenn nach der Entführung die Wirtin samt Gesinde gefesselt vorgefunden wird. Tatsächlich bot das Waldgebirge durch seine Unübersichtlichkeit shcon geografisch beste Möglichkeiten für ein kochemer Bayes, da man im Falle einer Razzia sich leicht ins Dickicht absetzten konnte. Zudem schätzte man die Nähe zu Verkehrswegen als potentiellen Tatorten oder Kommunikationswegen und Trassen für den Beuteschub. Die Inhaber der Gaunerherbergen wurden entwedr durch Gewalt oder häufiger durch die verlockende Aussicht auf Anteile an der Beute zu kochemer Baysern gemacht. Unterprivilegierte und sozial Ausgegrenztewie Schinder oder Hirten, teilweise auch Müller waren solcher Versuchung besonders stark ausgesetzt. Vor dem Überfall in Dettingen 1807 hatten sich die Gangster auf dem nahen Heißerackerhof getroffen, dessen Betreiber Johann Nicolas Walter gegen Beutebeteiligung das Überfall-Kommando, bewirtete, ihr auf dem Weg zu Tatort voranleuchtete und sie auch nach dem Coup für kurze Zeit wieder aufnahm; die Obrigkeit vergalt es ihm mit sechs Jahren Gefängnis und Zwangsarbeit in Aschaffenburg. Besonderer Beliebtheit vor allem in Diebeskreisen erfreute sich er Krugbau, eine Töpferei südöstlich von Steinau am Reande des Spessarts. Seine Gäste logierten in der Nähe der Frankfurt-Leipziger Straße und des so genannten Eselswegs Schlüchtern - Miltenberg, hatten den Wald unmittelbar vor der Haustür und konnten sich die zersplitterte politische Landschaft zunutze machen. Im Falle von Fahndungsaktionen der zuständigen Hessen-Kasselschen Behörden, ab 1806 der französischen Militärverwaltung, konnte man sich in kurzer Zeit nach Süden über die Grenze des Dalbergschen Fürstentums Aschaffenburg absetzen, an der die Befugnisse der Verfogler endeten, wenn keine besondere zwischenstaatliche Vereinbarung bestand. Umgekehrt versickerten viele Ermittlungen auf dem überlangen Dienstweg, wenn nach deinem dim Fürstentum begangenen Delikt die Spur nach Norden führte. Schließlich bot der Krugbau für die Kochemer die Ausrüstung zur Tarnung als Keramikhändler. Politisch günstig lagen auch der Trockenbachshof und das Schanzwirtshaus (heute Bayerische Schanz) westlich von Rieneck und nordöstlich von Frammersbach. Auf dem Hof traf sich beispielsweise Johann Adam Heußner mit Kollegen 1802 zu Diebstahlprojekten in Neustadt a. M., Oberndorf und Mernes sowie 1808 zu einem Straßenraub zwischen Orb und Marjoß, der allerdings scheiterte. Auf er Schanz hatten sich die Räuber zuvor noch einen Säbel geliehen. In unmittelbarer Nähe von Trockenbachshof und Schanz bestand 1802 ein Dreiländereck, gebildet vom reichsfreiherrlich Thüngenschen, dem gräflich Rieneck-Nostizschen und dem kurmainzischen Territorium. 1808, nachdem die politische Landschaft teilweise bereinigt war, verlief hier die Grenze zwischen dem Fürstentum Aschaffenburg und dem Großherzogtum Würzburg. Der Sinngrund um die Amtsorte Rieneck und Aura mit seinen "zusammenhängenden großen Waldungen", in dem 1808 "bey hellem Tage" nahe Wohnrod der Jude Jüttlin Kahn aus Burgsinn erschlagen worden war, hatte aktenkundig den schlechtesten Ruf. Zur sowieso schon prekären Grenzlage kamen verzwickte Herrschaftsverhältnisse wie das bis 1808 in Aura bestehende Kondominat zwischen Fürstprimas Dalberg und dem Großherzog von Würzburg. Der territoriale Umbruch des frühen 19. Jahrhunderts beförderte zunächst noch die Chaotisierung der Verwaltung, die den Kochemern nicht verborgen blieb. Das Amt Rieneck schlug Alarm, dass "diese von allem Militair entblößte Gegend der Zufluchtsort der geängsteten Gauner in den Ämtern Aura und Rieneck organisirt sind." Die Tradition kochemer Gastlichkeit setzte sich auch nach den Turbulenzen der napoleonischen Zeit fort, und noch 1823 tauchen Burgsinn und Mittelsinn in einer Liste des bayerischen Kriminalisten Stuhlmüller auf. Dies zeigt, dass die kochemer Bayes nicht unbedingt isoliert im Wald liegen mussten. Vor dem Überfall in Geislitz 1807 kehrten die Gauner im Haus eines Ortsbewohners ein, der die Gelegenheit ausgespäth hatte. Gelegentliche Unterkunft konnten Gauner, denen es gelang, als obdachlose Arme Mitleid zu erwecken, auch ohne Mitwisserschaft ihrer Beherberger finden, ählich wie die angeblichen Betteljuden bei ihren Glaubensgenossen, allerdings nicht im Regelfall. Der Frammersbacher Amtsvogt Sommer vermeldet 1804, dass "Fremde beherbergen" in der Gemeinde "für ein leibliches Werk der Barmherzigkeit gilt... Fremdes verdächtiges Dieb und Bettel Gesindel welcches seten einen Geburts oder noch weniger einen Wohnort angeben kann, die die Heuraths ERlaubniß als Hirten in einem Ort oder auch nur auf einem Hof z.B. auf der Schanzwirthschaft erhalten haben, treiben den Unfug fort." Auch im benachbarten Partenstein wurde offenbar solche Mildtätigkeit geübt. Internationale Renommées erfreuten sich schließlich die knapp vor dem Spessart gelegenen kochemer Bayes in und bei Eckardroth sowie im Nachbarort Romsthal. Zusammen mit der Ziegelhütte bei Kerbersdorf und der Burg in Gelnhausen war ein dichtes Netz von Gaunerherbergen entstanden. Um 1800 wählte hier die Große Niederländische Bande ihre Rückzugsquartiere, und auch einzelne Mitglieder der Schinderhannes-Bande fanden Unterschlupf. Frankfurt, das Informationszentrum und der Hauptumschlagplatz für heiße Ware, war über die Leipzig-Frankfurter Verbindung leicht zu erreichen, Eckardroth und Romsthal lagen versteckt "von der Landstraße ... abwärts in einem engen Thale von Wald und Buschwerk rings umgeben". Gaunerfreundliche administrative Zersplitterung kennzeichnete die Situation in Gelnhausen, dessen Burg, der Rayon um die alte Kaiserpfalz, um 1800 als eine Art Mini-Territorium in Ganerbschaft einiger Ritterfamilien einem eigenen Justizbeamten unterstand. Noch günstiger gestaltete sich die Situation in Eckardroth, Romsthal und Kerbesrsdorf, die im so genannten Huttischen Grund lagen, einem Ländchen der Freiherren von Hutten unter landgräflich Hessen-Kasselscher Oberhoheit. Vom Huttischen Grund aus konnte man sich nicht nur problemlos ins Isenburgische, Fuldische oder Mainzische absetzten, sondern hatte in dem Eckardrother Amtmann Kees selbst einen kochemen Geschäftspartner. "Wenn ihr nur einen guten Coup gemacht habt, so denkt auch an den Amtmann", galt als dessen Standardspruch. Für Aufenthaltserlaubnis und Deckung gegenüber den Fahndungsmaßnahmen der Hessen-Kasselschen Behörden wurden Schutzgelder kassiert, auch Pässe waren gegen angemessene Gebühör erhältlich. Ließ sich die gaunerische Konjunktur schlecht an, konnte man bei Kees einen Kredit aufnehmen oder Beutevorrat versetzen. Auch die Pflege der Sittlichkeit lag dem Wirtschaftsmann am Herzen: Rund 60 Gulden "Strafgeld" musste Nikolaus Harting anläßlich seiner Hochzeit berappen, "seine Braut seye nemlich schwanger gewesen". Mit ins Geschäft verwickelt war auch ein gewisser "j... B...", dessen nähere Bezeichnung die 1804 erschienene "Actenmäßige Geschichte" über die Niederländer in politischer Dezenz verschweigt. Der Räuber Heckmann berichtet im Verhör: "Zur Zeit als ich das letztemahl in Eckederoth war kam auf einmahl die Ordre von dem j... B... uns sogleich aus dem Gebiete zu begeben. Ich frage den Sohn des Bürgermeisters, was zu tun sey, um bleiben zu dürfen: er antwortete uns, der j... B... braucht Geld, gebt ihm einige Kronen, so könnt ihr bleiben. Wir schickten ihm zwey Kronen und erhielten die schriftliche Erlaubniß, bis auf weitere Ordre zu bleiben." Hinter den Chiffren "j... B..." oder auch "H... B..." verbirgt sich der Herr des Huttischen Grundes, der junge Baron oder Herr Baron Franz von Hutten. Inwieweit er tatsächlich vom Treiben der Gauner wusste, ist ungeklärt, die "Actenmäßige Geschithe" gibt alle Schuld dem Amtmann Kees. Jedenfalls war die Ansiedlung jüdischer wie christlicher Herumschweifender im eigenen Machtbereich eine häufig geübte Praxis des deutschen Kleinadels im 18. und frühen 19. Jahrhundert, hofften doch die Barone, über Einkünfte aus der Wirtschafts- und Arbeitskraft wenigstens zeitweise seßhaft gewordener Vaganten die politisch-ökonomische Situation ihrer Duodenzherrschaften gegenüber den mächtigeren Territorialherren zu verbessern, denn diese suchten im Zeichen absolutistischer Zentralgewalt ihr Machtgebiet unablässig im Innern zu vereinheitlichen und nach außen abzurunden. Auf dubiose, aber nicht minder lukrative Nebentätigkeiten der Angesiedelten wurde aus einsichtigen Gründen weniger geachtet. Durch zwischenstaatliche Kooperation rheinischer und hessischer Behörden kam es 1802 zur Aushebung der kochemer Bayes in Gelnhausen und dem Huttischen Grund. Hessiches Militär zog bei Gelnhausen auf; mittlerweise hatte Baron von Hutten "wahrscheinlich auf die erste Sprache der hessichen Regierung" hin den kochemen Amtmann Kees entlassen. Der Nachfolger Rullmann verjagte die Kochemer innerhalb einer Woche aus Eckardroth. Die Aktionen waren jedoch nur mäßig erfolgreich: Rechtzeitig gewarnt, waren mehrere Angehörige der niederländischen Elite geflohen und sollten die Behörden noch jahrelang plagen. Während die Gelnhausener Burg ihre bedeutende Stellung im kochemen Wirtschaftsbetrieb nicht mehr wiedergewinnen konnte, nahm die festgefügte gaunerische Tradition um Eckardroth und Romsthal ihren Fortgang. 1808 verkaufte der Spessartjörg in Romsthal ein gestohlenes Pferd, das er sich jedoch bald auf kochemem Wege wieder holte; 1809 wird ein "Kochemer Wirthshaus" ebenda vermeldet, denn "der Huttische Grund" ist wieder "eine Büchse der Pandora für die ganze Gegend" geworden. Noch 1833 fahndeten Hanauer Behörden nach 85 "Strohmern (Landstreichern) aus dem hüttischen Grunde", die, oft als reisende Handwerksburschen getarnt, "nur auf Bettel und Diebstahl ausgehen" und sich unter anderem als "Stipper" betätigen, indem sie kleine Gegenstände wegnahmen oder mit Hilfe einer Leimrute Münzen aus Ladenkassen und Opferstöcken angelten. Eine wichtige Rolle im kochemen Wirtschaftsleben spielten die Ausspäer und Informanten. Die Posträuber vom ÜBerfall 1787 übernahmen die Aufgabe des Ausforschens von passender Gelegenheit, Tatort und Termin der Untat selbst, andere Gauner hielten sich an die Tips sesshafter, nach außen hin oft recht seriös anmutender kochemer Leute, die sich in den geografischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Region auskannten und für ihre Informationen oft erkleckliche Anteile an der späteren Beute kassierten. So stammte beispielsweise die Idee zum großen Straßenraub vom Juli 1808 vom Steinauer Zinngießer Densch. Er nannte den Termin, an dem die jüdischen Kaufleute sich von Zeitlofs aus auf den WEg nach Steinau machen, und führe den Gaunerchef Johann Adam Heußner und Kollegen "auf den zur Ausführung des Raubs bestimmten Platz in dem Altenkronauer Wald... da sie sämtlich der Gegend unkundig waren". Dann ging Densch schleunigst nach Steinau zurück, wo er auf sein Geld wartete. Die Beischläferin des Zunder-Albert, die bereits als Kurier einen Teil der Gauner zusammengeholt hatte, überbrachte ihm freilich nur lumpige zwei Karolin (=22 Gulden) Abfindung, und Densch "wurde gewiß wüthend, daß ihm sein Bubenstück nicht besser bezahlt wurde". Zu welchen Leistungen kocheme Forschungsarbeit und Informationsübermittlung fähig waren, zeigt der Dettinger Überfall vom 4./5. Februar 1807. Denn genau zu diesem Zeitpunkt logierte in der Krone der Pfarrer Dürr, der aus dem Bambergischen angereist war, um in Dettingen in eiegener Sache eine größere Erbschaftsangelegenheit zu regeln. Tatsächlich behaupteten die Räuber, "5000fl... in Gold müßten da seyn"; sie fanden allerdings nur 2000 Gulden. Vielleicht lag in den allzu hoch gespannten Erwartungen der Grund für die fürchterliche Mißhandlung des Mannes, die dieser nicht überlebte. Auch in anderen Fällen förderten übertriebene Schilderungen möglicher Beute, mit denen der Informant die Gauner in seinem Eigeninteresse zu erhöhter Leistung anspornte, zu Exzessen der Gewalt. Eine weitere Stützte kochemer Ökonomie waren schließlich die meist als rechtschaffene Hänlder getarnten Hehler. Sie nutzten die Not der Gauner, ihre verrätersiche Beute an Sachwerten so schnell wie möglich loszuwerden, und zogen entsprechend hohe Gewinne aus der riskanten Arbeit der Kochemer vor Ort; bisweilen erhielten diese nur ein Zwanzigstel bei sein Fünfzehntel des Preises, zu dem der Hehler die Beute in den Wirtschaftskreislauf zurückführte. Die Gauner wurden unter Druck gesetzt: "Sie (die Hehler) begünstigen nemlich nicht nur den Diebstahl, der sonst unterbleiben müßte; sondern zwingen auch durch ihren grenzenlosen Eigennutz den Dieb, viel öfter zu steheln, als er sonst zu seiner Erhaltung nöthig hätte. Denn die beträchtlichste Beute, wenn er sie nicht selbst benutzen kann, wirft ihm verhältnismäßig nur äußerst wenig ab." Der Helher konnte als regelrechter Besteller für heiße Ware auftreten, die gerade Konjunktur hatte, und spielte damit zugleich die Rolle des Informanten. Begehrte Handelsartikel waren zum Beispiel die Metalle Kupfer, Zinn und Messing, an denen die im 18. und frühen 19. Jahrhundert vielbeschäftigten Armeen und ihre Geschütz- und Büchsenmacher hohen Bedarf hatten. Immer wieder montierten Diebe kupferne Branntwein-Destilliergeräte auseinander, stahlen zinnerne Kirchenleuchter oder seilten gar Glocken vom Turm ab, wie 1809 bei Frammersbach. Derartig sperriges Beutegut wurde zunächst auf einem Feuer erhitzt, damit das Material unter Spannung geriet, so dass es dann mit einer Pflugschar ohne größeren Kraftaufwand in transportable Stücke zerschlagen werden konnte. Der Dreck, wie die Gauner ihre metallene Last verfluchten, musste oft über weite Strecken zum Hehler geschleppt werden, so das Brandweins-Geschirr, das Johann Georg Pfeiffer und Konsorten über rund 25 km von Mittelsinn nach Schlüchtern zum Hehler Victor brachte. Schwarze Warenlager konzentrierten sich am Spessartrand entlang wichtiger Verkehrsverbindungen, die ein schnelles Weiterverschieben der Beute ermöglichten, wie an der Straße Frankfurt - Leipzig: Gelnhausen, Wirtheim, Steinau und Schlüchtern waren kocheme Handelszenten; die Bedeutung von Steinau illustriert wiederum sein bizzarrer rotwelscher Name. Auch im verrufenen Rieneck auf der Ostseite des Waldgebirges blühte um 1800 das Geschäft, mit gestohlenem Kaffe, Zucker und Tabak aus Kreuzwertheim, mit Gewürzen und Zinn aus Neustadt a.M. und anderem. Unter den Hehlern findet sich ein starker Anteil jüdischer Händler. Erklärung liefert die Statistik, waren die Juden doch durch jahrhundertelange Diskriminierung in den Bereich Handel und Trödel abgedrängt worden und somit dort überrepräsentiert. Zudem war ihnen seit dem Mittelalter der Handel mit Waren ungewisser Herkunft erlaubt, allerdings nicht mit eindeutig als solches ausgewiesenem Diebesgut. Im Fall obrigkeitlicher Untersuchungen konnte der Hehler immer noch seine Ahnungslosigkeit vorschützen. Welche Bedeutung für den Spessart und die Nachbarregionen die kocheme Infrastruktur hatte, belegt eindrucksvoll die Untersuchung gegen die Gauner Conrad Anshuh und seine Genossen: Ihre Angaben über kochemer Bayser und Hehler füllten 1812 "ohngefähr 15 Bände Acten".
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 11, 2007 14:16:03 GMT -5
Anspruch und Wirklichkeit obrigkeitlicher Strafverfolgung im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert klafften zunächst weit auseinander. Erfolge wie die Festsetzung der Posträubr-Bande in den 1780er Jahren, ermöglicht durch territorienübergreifende Zusammenarbeit der Behörden, blieben die Ausnahme. Drei am Spessarter Raub 1787 Beteiligte wurden 1790 in Aschaffenburg hingerichtet. Es fehlte an geeigneten Ordnungskräften, um der wachsenden Kriminalität zu steuern. Eine auf Verbrechensbekämpfung spezialisierte, landesweit durchorganisierte, schnell präsente und am Einsatzort flexible Polizei im heutigen Sinne wurde nach französischem Vorbild erst am Ende der napoleonischen Ära in mehreren Staaten eingerichtet. Das 1764 im Kurfürstentum Mainz aufgestellte und 1788 durch Landjäger zu Fuß verstärkte Husarencorps beispielsweise, ein Bestandteil des Militärs, nahm zwar Sicherheitsaufgaben wahr, allerdings nur in Friedenszeiten. Die kleine Zahl der jeweils personell gering besetzten Kommandos stand dabei in krassem Mißverständnis zur Größe des Einsatzgebietes. Vorbeugung, Fahndung und Ergreifung von Straftätern blieb nur eine Aufgabe unter vielen anderen für die Mitglieder der Landesdirektion, die Amtmännr, Ortsvorstände, Gemeindediener und -gerade im Spessart wichtig - die Forstleute. Auch nicht zum stehenden Heer gehöredne Untertanen wruden zur Gaunerjagd vergattert, wie etwa im kurmainzischen, dann fürstlich-aschaffenburgischen Spessart neben einhelnen fähigen Individuellen die Landmiliz, Zentmannschaften (Cent, Zent = Gerichtsbezirk) und so genannte Auschüsse. Die Angehörigen dieser Verbände wurden nur zeitweise bei einer Störung aktiv und gingen sonst am Heimatort ihrem zivilen Beruf nach. 1799 und 1800 leisteten sie Hilfsdienst im Krieg. Ihre Motivation war schwach. Als besonders läsgit empfunden wurden die nach Überfällen oder zur Vorbeugung angeordneten Fahndungsaktionen und Streifungen gegen verdächtiges Gesindel, also Vaganten, die von vornherein kriminalisiert waren, und unter denen sich auch tatsächliche Gauner befanden. Die Untertanen sahen sich freilich vor allem vom bitter nötigen Broterwerb abgehalten. Auch die in den Gemeinden zu Tag- und Nachtwachen aaufgebotenen einwohner kümmerten sich wenig, war der Lohn aus der Gemeindekasse doch allzu spärlich: "An den mit Thoren geschlossenen und mit Wachthäusern versehenen Orten... lief das Bettelgesindel und alle in der Sicherheitsverordnung bezeichneten Personen (Vaganten aller Art) so ungestört aus und ein, als gehöreten sie dahin. Die commandirten Wachten wurden bezahlt und gar nicht gethan, lagen entweder auf ihrem Felde, oder saßen bey ihrem Handwerk oder tranken in den nächsten Wirthshäusern", wurde der Aschaffenbruger Landesdirektor 1804 zur Situation in den Ämtern Orb, Klingenberg und Lohr berichtet. Menschliches Mitgefühl und Trotz gegen eine allzu anspruchsvolle Obrigkeit, die im Zeichen modernen Staatsausbaus das Leben der Untertanen mit einer Flut von Verordnungen zu reglementieren suchte, ließ manchen Ordnungshüter bisweilen unmittelbar gegen die Obrigkeit und ihre Repräsentanten handeln, deren Auftreten häufig als provozierend empfunden wurde. 1798 tadelte die kurmainzische Landesregierung, dass "sich die Unterthanen aus einem ganz unzeitigen Mitleiden einmischten, und die Husaren sich in ihren Verrichtungen gehemmt sehen", wenn sie aufgespürte Vaganten "mit etlichen Stockschlägen fortjagten". Wurde es wirklich ernst, kam man nur selten den Opfern zu Hilfe - wie 1803 die Sommerauer Bauern ihrem überfallenen Pfarrer. Bei der Aktion in der Dettinger Krone sahen die Nachbarn unverrichteter Dinge zu. Die Gemeinde sollte daher auch zur Rechenschaft gezogen werden und die Opfer finanziell entschädigen. Der zwangsweise versammelnten Einwohnerschaft wurde feierlich ein allerhöchstlandesherrlicher Tadel verlesen. Angst vor den Gaunern war eine Ursache solcher Passivität; die andre lag in den elenden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, unter denen die Mehrheit der Bevölkerung zu leiden hatte. Indirekt erwies sich hier der Spessart tatsächlich als Räuberwald, was die den Kochemern nützliche Gleichgültigkeit der Bewohner gegenüber gaunerischem Treiben und den vorbeugenden oder Fahndungsmaßnahmen der Obrigkeit angeht. Bis ins 19. Jahrhundert bliebt die Region ein Notstandsgebiet, geprägt von kümmerlicher Landwirtschaft auf unfruchtbarem, sandhaltigem Boden und bei rauher Witterung. Es fehlten Arbeitsmöglichkeiten im Handwerk, im Gewerbe und bei der Waldarbeit. Nach Mißernten brachen Hungersnöte aus, viele Spessarter litten an chronischer Unterernährung. In den verschimmelten halbverfallenen Behausungen gedieh die klammheimliche Freude, wenn ein Geldsack zu Hause oder auf der Straße ausgenommen wrude. Selbst für einen im Vergleich mit anderen Gemeinden noch gutsituierten Ort wie Frammersbach musste der Vogteiamtmann im Sommer 1807 zusammenfassen: "1. Auf dem platten Lande bestehe das Vermögen meistens in Liegenschaften, die dem Raube nicht ausgesetzt seyen. Einzelne Wohlhabende hätten von dem neidigen Haufen keine Hilfe zu erwarten. 2. Alle die vorgeschriebenen Sicherheits-Maasregeln bemüheten den Theil des Volkes, der nichts zu verlieren habe. Ermüdet von seiner Tagesarbeit... hätte er seinen Beytrag zur Bezahlung der ständigen Tages- und Nachtwachen zu leisten und solle nun noch persönliche Sicherheits-Dienste verrichten, an denen seine ganze Anverwandtschaft und gleich vermögende Nachbarn kein Interesse hätten. Die Klagen würden allgemein, erweckten Haß gegen die Wohlhabenden, ergriffen selbst die vorgesetzte Zentofficire." Abneigung gegen die Reichen bedeutete allerdings noch nicht Kumpanei mit den Kochemern. Sie blieb die Ausnahme, denn zu unterschiedlich waren die traditionellen Wertvorstellungen. Die Beutemacher ihrerseits taugen nicht als Helden fürs einfache Volk, das allenfalls wegen mangelnder Gewinnaussichten wniger heimgesucht wurde als die Begüterten. Kaufmann, Pfarrer oder Tagelöhner, den Kochemern galten sie sämtlich als Tölpel.
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 11, 2007 20:31:26 GMT -5
Besonders schwer hatten es die Gaunerjäger in der politischen Landschaft Spessart. Fünfzehn verschiedene Herrschaften machten 1792, kurz vor den territorialen Umwälzungen im Gefolge der Koalitions- und napoleonischen Kriege, die Region zu einem politischen Fllickenteppich. Bedeutendste Macht war Kurmainz, das eigene Gebiete unter seiner - allerdings häufig strittigen - Oberhoheit hatte. Wie oben gezeigt, hatten es die Kochemer leicht, innerhalb kurzer Zeit die Zuständigkeitsbereiche der Amtsgewalten zu wechseln und somit Streifungen, gezielten Fahndungen oder Ermittlungen zu entkommen. Ein übergreifendes Zusammenwirken der Behörden gestaltete sich schwierig und konnte sich zu einer regelrechten diplomatischen Aktion auswachsen, weil Landesherren oder Duodezfürsten stur auf ihrer erwünschten oder tatsächlichen Eigenständigkeit beharrten. Die Situation änderte sich im frühen 19. Jahrhundert dramatisch, denn Ende 1806 teilten sich nur noch vier verschiedene Obrigkeiten den Spessart; 1810 gehörte er fast vollständig zum Großherzogtum Frankfurt. Trotzdem konnte sich der Rote Hannadam 1808 die Kompetenzprobleme der Bürokratien zunutze machen, als er am 13. Dezember zusammen mit seiner Gaunerschaar zwischen Altenhaßlau und Höchst mehrere Ochsenhändler überfiel und ausplünderte. Was waren die Folgen? Der Fall wurde zunächst nicht untersucht, weil die amtlichen Organe in Höchst (Spessart) zwifelten, ob die Tat auf dem Territorium des Fürstentums Aschaffenburg oder im benachbarten Isenburgischen begagngen worden war. Zwei Tage später wagte das Isenburgische Amt Meerholz die Initiative und fing einen Verdächtigen ein, dem jedoch nichts nachgewiesen werden konnte. Die Spur der Gauner hatte sich verloren. Auf der anderen Seite standen jedoch etwa ab 1810 Erfolge, wie zum Beispiel die Aktonen und Ermittlungen gegen die Gauner im Spessart und Odenwald, in den Meingegenden, der Wetterau und am Vogelsberg, die in den bereits erwähnten Werken der Kriminalisten Pfister, Grolman und Brill dokumentiert sind. Zusammenarbeit über Territoriengrenzen hinweg, verbunden mit einer zunehmenden Effizienz der Sicherheitsorgange im Innern der Staaten versetzten dem ländlichen Gaunertum schwere Schläge. nachdem ein Großteil des Spessarts 1814 an Bayern übergegangen war, zog die königliche Gendarmerie ein, eine moderne spezialisierte Polizeitruppe. Sie war an zahlreichen Orten stationiert und sicherte Postwagen gegen Straßenraub zusätzlich mit Eskorten. Kurhessen, das nun den Norden des Waldgebietes und einen Landstrich östlich von Hanau beherrschte, stellte ien vergleichbare Land-Gendarmerie allerdings erst 1834 auf. Vornehmlich im bayerischen Spessart war ab 1814 ein deutlicher Rückgang der Aktivität professioneller Räuber und Diebe zu verzeichnen. Noch in den 1820er Jahren rechneten die Behörden jedoch mit Übergriffen aus der hessischen Region. Die schlimmsten Befürchtungen wurden am 8. September 1822 bestätigt: Nachmittags gegen ein Uhr überfielen mehrere Räuber drei Juden bei Orb, verwundeten sie durch Schüsse und plünderten sie aus. Danach wurden die Opfer "in das Reißig geschleppt, auf drei verschiedenen Stellen niedergelegt und unter sie das Reißig angezündet". Elias Hess, einer der Verletzten, "hatte der 30 erhaltenen Wunden ohngeachtet auf dem Feuer liegen noch so viele Geistes Gegenwart, sich seines brennenden Rockes zu entledigen, uns isch von der BRandstätte etwa 17 Schritte ins Gebüsch zu wälzen", wo ihn am nächsten Tag ein junger Orber fand. Hess erlag kurz darauf seinen Verletzungen; seine Reisegefährten waren bereits tags zuvor gestorben. Das Verbrechen wurde nicht aufgeklärt, doch wiesen Indizien auf eine Bande hin, die auch im nordwestlich des Spessarts gelegenen Bündigner Wald aktiv geworden war. Ihre Grausamkeit stellte in der Kriminalität der Zeit längst die Ausnahme dar; als Motiv für die an den Terror mittelalterlicher Progrome erinnernde Verbrennung der Opfer ist fanatischer Judenhaß zu vermuten.
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Post by Katrin Coquillarde on Mar 11, 2007 15:48:15 GMT -5
Mit der Verbesserung der Strafverfolgung stellten sich auch die Kochemer zunehmend auf subtilere Techniken von Einbruch und Diebstahl um, was das Risiko, im Falle der Ergreifung auf dem Schafott zu enden, minderte. Auch ein Zivilisierungsprozeß der Gesellschaft machte sich hier bemerkbar. Verfeinerte Gaunerei hatte bereits Johann Kinzinger alias Das Kleine Johann(er)chen betrieben. 1784 als Sohn vagierender Eltern geboren und früh verwaist, war er ab etwa 1793 unter anderem als Hütebub, Müllers- und Bauernknecht im Spessart (Eschau, Mespelbrunn, Elsavatal) tätig. Die Bekanntschaft mit dem Roten Hannadam führte ihn der professionellen Kriminalität zu. Mit ihm zusammen überfiel er 1803 zwishcen Wertheim und Höhefeld einen Wirt und Weinhändler und dessen Bruder. Beim Handgemenge löste sich ein Schuß, wobei einer der Reisenden leicht verletzt wurde; zwei Tage später starb er wegen mangelhafter ärztlicher Versorgung an Wundbrand. Von einem weiteren mißglückten Raubversuch abgesehen, verlegte sich Kinzinger nun ganz auf Diebstähle und Einbrüche, die er häufig allein being. Seine Spezialität war das unbemerkte Einschleichen in die Häuser bei hellichtem Tag. Der schmächtige Mann, den Brill nicht ohne Respekt als "eben so listig als gewandt" charakterisiert, drang beispielsweise durch "gewöhnliche Schiebfenster" ein, "daß es nicht möglich zu seyn scheint, daß ein erwachsener Mensch durch die Öffnung durchschlupfen konnte". Bis zu seiner Ergreifung 1814 machte er unter der perfekten Tarnung als "ehrbarer Landkrämer" und versehen mit entsprechenden Papieren den Südspessart, die Gegenden um Wertheim udn Miltenberg sowie den Odenwald unsicher. Leise, artistisch anmutende Techniken, kunstmäßig gefeilte Diebsschlüssel und übertölpelndes Mudnwerk waren besondern in den rasch wachsenen Städten nützlich. Die dortige Unterwelt erhilet seit den 1820er/30er Jarhen auch verstärkten Zuug vom ländlichen Gaunertum. Aus polizeilichen und ökonimschen Gründen wurde der Wald unattraktiv, man schloß sich dem Trend der allgemeinen Verstädterung des Wirtschaftslebens an und mußte an den belebten Orten notwenigerweise unauffällig zu Werke gehen. Was den alten Räubern als eher weibliche Tätigkeit gegolten hatte, wie Betrug, Markt- und Ladendiebstahl, erfuhr nun höhere Wertschätzung. Dies wirkte sich auch auf die Stellung der Frauen in der gaunergesellschaft positiv aus, etwa für die aus dem Spessart stammende und in der Szene sehr geschätzte Orber Gritt (Margaretha Kesselring) ebenso wie für das Haibacher Gretchen (Margaretha Hock), die sich um 1825 in Frankfurt und Umgebung herumtrieben. Deutlich bezeichnen sie den Umbruch in der kochemen Ökonomie, denn sie wurden gleichermaßen in der Metropole und auf dem Land tätig und fanden auch öfter noch Unterschlupf im Wald. Um die Jahrhundertmitte musste der Kriminalist Avé-Lallemant feststellen, dass sich die deutschen Gauner mitten in der bürgerlichen Gesellschaft häuslich eingerichtet hatten. Das Repertoire ihrer seriös erscheinenden Maskeraden reichte vom Arbeiter und Kellner bis zum Geschäftsmann, von der Gouvernante bis zur wohlversorgten Beamtenwitwe und dem Angehörigen des "Gelehrten- und Künstlerproletariat(s)", so dass "der Polizeimann sich mit allen vier Facultäten herumschlagen muß, um sogar im Doctor der Philosophie und Professor der Theologie den Gauner zu entlarven"; und dabei hatte der geplagte Ermittler "doch... alle feinen Rücksichten vorischtig zu beobachten, die in den prätendirten socialen Formen ihm entegengeschoben werden." In der heuten computerisierten Ära der Hacker udn Investmentschwindler ist die Gaunerei vollends grau geworden, bedrohlich gerade in ihrer Gestaltlosigkeit. Um so mehr Nostalgie erwecken die Bilde von den Räubern und ihrem Wald: Outlaws, die sich in vertrackter Ehrlichkeit ihren Opfern gleich als das zu erkennen geben, was sie sind, angesiedelt in einer Landschaft, die als Natur der Raum von Freiheit und Abenteuer schlechthin ist. Ob in hochliterarischer Form beim immer noch vielgelesenen Hauff oder komödiantisch und bisweilen klamottig in Verfilmung und touristischer Inszenierung - die Kraft der Bilder liegt in ihrer Irrealität. Und es darf nicht kümmern, dass die Räuberei immer schon als Geschäft betrieben worden ist, der Schauplatz Spessart nur als Wirtschaftsraum mit gaunerfreundlichen Standortfaktoren seine Wertschätzung erfuhr und der Spessarträuber eigentlich nie da war.
Der Text "Die Spessarträuber und ihr Wald. Blick hinter ein Traumbild" ist geistiges Eigentum des Verfassers Herbert Bald und somit urheberrechtlich geschützt. Ursprünglich ist er in der Volkskundlichen Veröffentlichung "Schurke oder Held? Historische Räuber und Räuberbanden" des Badischen Landesmuseums Karlsruhe (herausgegeben von Harald Siebenmorgen) erschienen. Rotwelsche Übersetzungen habe ich nicht angegeben um nicht gegen den Kodex zu verstoßen. Im Originaltext waren sie jedoch vorhanden.
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