Post by Katrin Coquillarde on Mar 15, 2007 13:00:52 GMT -5
"Sie trug stets das Brecheisen unter dem Rock" - aber hat sie es auch benutzt? Zur Rolle der Frauen in den Räuberbanden des 18. und 19. Jahrhunderts
Monika Machnicki
In Württemberg lebten um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert "mehrere 100 000 Personen" an oder unterhalb der Armutsgrenze nach damaligem Verständnis. Die meisten von ihnen waren sogenannte Berufsmobile, zumeist Angehörige der Unterschichten: Wanderkrämer, Kesselflicker, Soldaten, Vertreter der sogennanten unehrlichen Berufe, Schauspieler, Musikanten und Bettler, um nur einige von ihnen zu nenne. Eine flächendeckende Untersuchung zur Verteilung der Geschlechter bei den Berufsmobilen liegt noch nicht vor, jedoch lassen die vorliegenden Einzeluntersuchungen zur Verteilung von Männern und Frauen unter den Vagierenden auf einen Frauenüberschuss schließen. So wurde für Vorarlberg ein Anteil der Frauen von 54 Prozent bis zu 63,5 Prozent ermittelt. Werden als Quellengrundlage Gerichtsprotokolle zum kriminellen Vagantentum zugrundegelegt, ergibt sich ein Frauenanteil zwischen 33 Prozent und 58 Prozent, also von immerhin 46,5 Prozent im Mittel.
Untersuchungen für den Vorarlberger und den oberschwäbischen Raum haben gezeigt, dass Frauen auch stärker als Männer von Armut betroffen waren. So waren zwei Drittel derjenigen, die im ausgehenden 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ravensburg karitative Leistungen erhielten, Frauen. Darüber, wie viele der armen Frauen kriminell wurden und sich gemeinsam mit anderen, das heißt organisiert in Banden durchs Leben brachten, liegen bislang keine Erkenntnisse vor.
Zu den wenigen "Gaunern" in Schwaben, "die eine ausgezeichnete Rolle gespielt, durch ihre Taten und Schicksale sich vorzüglich berüchtigt gemacht haben", zählte der Ludwigsburger Pfarrer Johann Ulrich Schöll neben vier Männern auch zwei Frauen, die Gasnerslisel und die Schleiferberbel.
In Literatur und Forschung werden die Räuberinnen aufrund ihres sittliche Normen brechenden Verhaltens vorzugsweise "vorurteilsgebunden" dargestellt. Sie werden entweder romantisiert oder diskriminiert: "Die weiblichen Mitglieder sind regelmäßig die unglücklichsten und elendsten Geschöpfe der Banden. Sind sie einmal in dieses Milieu hineingeraten, ist ein schnelles Absinken auf die unterste Stufe der Prostitution unvermeindlich; sie sind Sklavin udn Packesel eines rohen, häufig trunksüchtigen Kerls, geschätzt, so lange sie jung und kräftig sind, aber schnell verstoßen und damit dem Elend ausgeliefert, sobald sie aus irgendeinem Grunde lästig werden. Mitunter werden zwischen männlichen und weiblichen Bandenmitgliedern Ehen geschlossen; das dient aber vorzugsweise dazu, bei polizeilichen Kontrollen einen ehrbaren Eindruck zu machen. Respektiert wird diese Bindung nie, emist herrscht in den Banden Promiskuität."
Schriftliche Zeugnisse von Frauen in Räuberbanden sind bislang kaum entdeckt worden. Ein Grund dafür liegt sicherlich in dem noch schlechteren Ausbildungsgrad von Frauen hinsichtlich der Kulturtechniken Lesen und Schreiben. So sind ihre Lebensziele und Strategien nur aus den offiziösen und offiziellen Verlautbarungen, den Kriminaluntersuchungsprotokollen und Veröffentlichungen herauszudestillieren. Die Zufälligkeit der Aktenüberlieferung ist dabei ebenso zu problematisieren wie das Faktum, dass das auf diese Weise überlieferte Material den Blickwinkel der Verfolgungsbehörden repräsentiert.
Informationen über Frauen in Räuberbanden sind in aller Regel ebenfalls geprägt von dem geschlechtsspezifischen Quellenblick der über die Bande schreibenden Männer. Eine vorurteilsfreie Analyse weiblicher Kultur- und Handlungsmuster steht auch da nicht im Vordergrund, wo es um die nur in geringer Zahl vorhandenen biografischen Skizzen von Räuberinnen geht, wie zum Beispiel in der im Jahre 1787 in Stuttgart erschienenen "Geschichte einer Räuberin" von Jakob Friedrich Abel. Hier handelt es sich um ein "kurzes, ungerechtes" Porträt der im Jahre 1760 hingerichteten Christina Schettinger, der zweiten Frau des Sonnenwirtle Friedrich Schwan. Abel, Philosophielehrer an der Stuttgarter Karlsshule, war einer der typsichen Vertreter eines "neuartigen bürgerlichen Antifeminismus", der sich im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts zusätzlich aus Berichten über die "schrecklichen Frauen" der französischen Revolution speiste.
Die Rolle der Frauen in den Räuberbanden wird anhand der in neueren Quellenveröffentlichungen verfügbaren Darstellungen von Räuberbanden des 18. und 19. Jahrhunderts untersucht. Die Analyse darf jedoch "nicht ignorieren, daß es sich bei dem historischen Material, dessen wir habhaft werden können, um ein gefiltertes handelt: um Bilder, Zuschreibungen, Projektionen". Parallel dazu werden daher die biografischen Daten von über 500 Frauen aus der im Jahre 1799 veröffentlichten "Oberdischinger Diebsliste" ausgewertet, um einen Blick auf einige Referenzdaten zur Lebensrealität kriminalnotorischer vagierender Frauen zu erlangen. Folgende Kategorien sollen dabei hauptsächlich berücksichtigt werden: Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der aufgeführten Delinquenten, Alter, Status, Berufsangebe, Kinderzahl, Delikt.
Die "Oberdischinger Diebsliste", von der Herzog Friedrich von Württemberg für die Ober- und Stabsämter 120 Exemplare bestellt hatte, umfasst - ohne die Listen der Hingerichteten oder sonstwie zu Tode Gekommenen - die Namen und Steckbriefe von 1487 Personen, darunter 503 Frauen. Die Altersverteilung dieser Frauen stellt sich wie folgt dar: Nur drei von ihnen waren unter 20 Jahre alt. 21 Prozent von ihnen waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. Den größten Anteil mit 35,5 Prozent stellen die Frauen zwischen 30 und 40 Jahren. 19,2 Prozent waren zwischen 40 und 50, immerhin noch 5,4 Prozent zwischen 50 und 60 Jahre alt.
Knapp unter zwei Prozent liegt die Zahl der alten bis 70 Jahre, bei etwas über zwei Prozent die Zahl derer, die das Attribut "alt" ohne weitere Angabe erhielten. In 13,9 Prozent der Fälle fehlen die Altersangaben. Nur in einem einzigen Fall liegt ein vollständiges Geburtsdatum vor.
Da es sich bei den Altersangaben vornehmlich um geschätzte Angaben aus Verhören handelt, sind diese mit Vorsicht zu interpretieren. Sie lassen jedoch die tendenzielle Aussage zu, dass mit einem Anteil von über 54 Prozent die Mehrzahl der Frauen auf der Straße an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die lebenserfahrenden Frauen zwischen 30 und 50 Jahren waren. Etwas weniger als ein Drittel der in der Liste aufgeführten Frauen war verheiratet. Für die übrigen erscheinen dort Bezeichnungen wie Mensch, Beischläferin, Anhang, Concubine, Kebsweib, Unterbett oder Cammerädin. Berufsangaben für die Frauen finden sich in weniger als elf Prozent der Steckbriefe. 42 Nennungen beziehen sich auf den Handel mit verschiedensten Waren wie Zunder und Feuerstein, Stoffen, salben udn Pomade, Bildern, Süßigkeiten, Silberwaren, Geflügel und Katzenbälgen. Je einmal sind genannt: Herstellung papierener Schachteln, Herstellung von Amuletten, Haarschuh- und Spitzenmacherin, Tuchdruckerin, Magd, Soldatin und Musikantin. Eine Frau verdient ihren Lebensunterhalt mit Tobackschwärzen, eine trägt einen Guckkasten mit sich. Zwei Frauen leben vom Stricken.
Die Lebensrealität der vagierenden Frauen, die innerhalb von kriminellen Banden ihren Lebenszusammenhang und -unterhalt suchten und die Legendenbildung um die Räuberbräute klaffen weit auseinander. Hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Frauen, die in der Volkspoesie und Literatur eine besondere Rolle spielt, spricht die Masse der erhaltenen Steckbriefe und Inquisitionsprotokolle eine völlig andere Sprache. Die meisten von ihnen waren weder jung noch schön. Ihre Gesichter waren blatternarbig und "gedupft", ein Hinweis auf überstandene Krankheiten. Sie waren "vom Ungeziefer" gefressen, bei Krankheit auf Bettelfuhr oder die Solidarität der Bandenmitglieder angewiesen.
Dennoch fällt auf, dass auch bei den durch biografische Skizzen gewürdigten Räuberfrauen Wert darauf gelegt wird, ihr Äußeres ausführlich zu beschreiben. So war Buzeliese-Amie, eine ehemalige Geliebte des Schinderhannes, "sehr gut gebildet, fleischig anzufühlen", und auch Christina Schettinger erhielt das Attribut "von schöner Bildung".
Mit solchen Formulierungen sollte die erotische Anziehungskraft der Frauen herausgestellt und ihre Rolle als Verführerinnen verdeutlicht werden. Im 18. Jahrhundert bildeten sich - letztlich unbegründete - Vorstellungen heraus, wie aus der äußeren Erscheinung, speziell der Physiognomie, auf den Charakter des oder der betreffenden Person zu schließen sei. In diesem Zusammenhang müssen die Notizen über das Aussehen der Frauen gesehen werden.
Die bisherige Forschung und Literatur ging im großen und ganzen davon aus, dass Frauen im Rahmen der beschriebenen Räuberbanden nur gewisse Randfunktionen wahrnahmen und vorzugsweise Hilfsdienste in einem von Männern geprägten Umfeld leisteten. Jedoch erlauben einige ind en letzten Jahren erstellte Einzelfallstudien einen differenzierenden Blick auf Auftreten, Aktionen und Handlungsspielräume von Frauen im Kontext der Bandendelinquenz des 18. und 19. Jahrhunderts.
Als die typischen Frauendelikte gelten Markt- und Taschendiebstahl. "Besonders wird der Marktdiebstahl von Frauenzimmern betrieben." 26 Prozent der in der "Oberdischinger Diebsliste" aufgeführten Frauen finden sich in der Kategorie Marktdiebin, gefolgt von 16 Prozent, die als Diebin mit unterschiedlichen Klassifizierungen bezeichnet werden. 6 Prozent werden des Bettelns bezichtigt. Daran schließen sich knapp unter sechs Prozent Sacklagerinnen und Sackgreiferinnen an. Vier Frauen sollen an einem Postkutschenüberfall beteiligt gewesen sein. Prostitution als eigenes Delikt wird in etwa drei Prozent der Fälle aufgelistet. Dieses Ergebnis steht mit dem in der Literatur tradierten Bild von der in Promiskuität lebenden Räuberbraut, die ihre einzige Rolle im Zusammenhang der Banden als wechselnde Geliebte spielt, nicht im Einklang.
Das frappierendste Ergebnis ist jedoch, dass in rund einem Drittel der Fälle, immerhin 165 von 503, nicht ersichtlich ist, warum diese Frauen auf der Liste verzeichnet sind. Bei ihnen werden keine Delikte genannt. Bestimmte, zum Teil äußere Merkmale wie "rote Haare" oder "gehet mit ihrem Mann" scheinen ausreichend, um auf die Liste zu geraten.
Sollte man in einer Reihe von Fällen die mangelnden Erhebungsmethoden und -möglichkeiten der damaligen Zeit oder auch die Unfähigkeit der Ermittler dafür verantwortlich machen können, dass die Delikte (noch) nicht aufgeführt sind, so wird spätestens bei keinesfalls singulären Formulierungen wie "soll sich mit Stehlen nicht abgeben" oder auch "Von dieser weiß man zur Zeit nichts Unrechtes zu sagen" die Fragwürdigkeit solcher Diebslisten deutlich. Frau-Sein und Unbehaust-Sein, die inkriminierte Lebensweise des Vagierens, waren in diesen Fällen bereits ausreichend.
Hinsichtlich der Markt- und Taschendiebstähle waren die Frauen weitgehend autonom in Planung und Ausführung der Taten. Aus ihrem Erfolg resultierte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei einer Reihe von Bande eine gewisse Dominanz der Frauen, wei zum Beispiel bei Elisabetha Frommerin, der im Jahre 1732 hingerichteten Alten Lisel. Ihr Aktionsraum waren die in reicher Zahl abgehaltenen Märkte und Messen rund um den Bodensee, er reichte von Dinkelsbühl im Norden bis Schaffenhausen im Westen, von Buchloe im Osten bis nach Einsiedeln und Chur im Süden. Sie "war die unbestrittene Anführerin der um sie geschaften Männer, Frauen und Kinder, denn von ihrer Lebenserfahrung, ihrer Routine im Kampf ums Überleben profitierten alle."
Um die gleiche Zeit wird auch die alte Cullin, eine "Erzstapplerin und falsche Brieftragerin", aktennotorisch, unter deren "Direktion" im Jahre 1728 eine "Compagnie von 17 Personen" stand, die gleich ihr mit falschen Brand- und Bettelbriefen agierte. Blauert definiert diese Banden als "Überlebensgemeinschaften", in denen die Frauen die zentrale Rolle spielten und in der Männer "nur am Rande" vorkamen. Jedoch entsprang dies keinem programmatischen Vorgehen oder "weiblicher Strategie". Es war eher die Lebensform des Wanderns, die eine häufige Trennung der Lebenspartner erzwang. Die Frauen übernahmen dabei die Basisversorgungsfunktion der jeweiligen Gruppe. Je größer ihr wirtschaftlicher Erfolg für die Bande war, desto sicherer begründete dieser die Dominanz der Frauen innerhalb der Gruppe. Als aktiv Handelnde akzeptierten die Frauen die auf sie bezogenen Normen und Verhaltensanforderungen und entwickelten diese weiter.
Sie waren es, die, pragmatisch orientiert am alltäglichen Bedarf, "den über den nächsten Tag hinausgehenden Zusammenhalt der Gruppe" herstellten, "alleine schon vermittelt durch die Sorge um die zahlreich mitgeführten Kinder".
Monika Machnicki
In Württemberg lebten um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert "mehrere 100 000 Personen" an oder unterhalb der Armutsgrenze nach damaligem Verständnis. Die meisten von ihnen waren sogenannte Berufsmobile, zumeist Angehörige der Unterschichten: Wanderkrämer, Kesselflicker, Soldaten, Vertreter der sogennanten unehrlichen Berufe, Schauspieler, Musikanten und Bettler, um nur einige von ihnen zu nenne. Eine flächendeckende Untersuchung zur Verteilung der Geschlechter bei den Berufsmobilen liegt noch nicht vor, jedoch lassen die vorliegenden Einzeluntersuchungen zur Verteilung von Männern und Frauen unter den Vagierenden auf einen Frauenüberschuss schließen. So wurde für Vorarlberg ein Anteil der Frauen von 54 Prozent bis zu 63,5 Prozent ermittelt. Werden als Quellengrundlage Gerichtsprotokolle zum kriminellen Vagantentum zugrundegelegt, ergibt sich ein Frauenanteil zwischen 33 Prozent und 58 Prozent, also von immerhin 46,5 Prozent im Mittel.
Untersuchungen für den Vorarlberger und den oberschwäbischen Raum haben gezeigt, dass Frauen auch stärker als Männer von Armut betroffen waren. So waren zwei Drittel derjenigen, die im ausgehenden 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ravensburg karitative Leistungen erhielten, Frauen. Darüber, wie viele der armen Frauen kriminell wurden und sich gemeinsam mit anderen, das heißt organisiert in Banden durchs Leben brachten, liegen bislang keine Erkenntnisse vor.
Zu den wenigen "Gaunern" in Schwaben, "die eine ausgezeichnete Rolle gespielt, durch ihre Taten und Schicksale sich vorzüglich berüchtigt gemacht haben", zählte der Ludwigsburger Pfarrer Johann Ulrich Schöll neben vier Männern auch zwei Frauen, die Gasnerslisel und die Schleiferberbel.
In Literatur und Forschung werden die Räuberinnen aufrund ihres sittliche Normen brechenden Verhaltens vorzugsweise "vorurteilsgebunden" dargestellt. Sie werden entweder romantisiert oder diskriminiert: "Die weiblichen Mitglieder sind regelmäßig die unglücklichsten und elendsten Geschöpfe der Banden. Sind sie einmal in dieses Milieu hineingeraten, ist ein schnelles Absinken auf die unterste Stufe der Prostitution unvermeindlich; sie sind Sklavin udn Packesel eines rohen, häufig trunksüchtigen Kerls, geschätzt, so lange sie jung und kräftig sind, aber schnell verstoßen und damit dem Elend ausgeliefert, sobald sie aus irgendeinem Grunde lästig werden. Mitunter werden zwischen männlichen und weiblichen Bandenmitgliedern Ehen geschlossen; das dient aber vorzugsweise dazu, bei polizeilichen Kontrollen einen ehrbaren Eindruck zu machen. Respektiert wird diese Bindung nie, emist herrscht in den Banden Promiskuität."
Schriftliche Zeugnisse von Frauen in Räuberbanden sind bislang kaum entdeckt worden. Ein Grund dafür liegt sicherlich in dem noch schlechteren Ausbildungsgrad von Frauen hinsichtlich der Kulturtechniken Lesen und Schreiben. So sind ihre Lebensziele und Strategien nur aus den offiziösen und offiziellen Verlautbarungen, den Kriminaluntersuchungsprotokollen und Veröffentlichungen herauszudestillieren. Die Zufälligkeit der Aktenüberlieferung ist dabei ebenso zu problematisieren wie das Faktum, dass das auf diese Weise überlieferte Material den Blickwinkel der Verfolgungsbehörden repräsentiert.
Informationen über Frauen in Räuberbanden sind in aller Regel ebenfalls geprägt von dem geschlechtsspezifischen Quellenblick der über die Bande schreibenden Männer. Eine vorurteilsfreie Analyse weiblicher Kultur- und Handlungsmuster steht auch da nicht im Vordergrund, wo es um die nur in geringer Zahl vorhandenen biografischen Skizzen von Räuberinnen geht, wie zum Beispiel in der im Jahre 1787 in Stuttgart erschienenen "Geschichte einer Räuberin" von Jakob Friedrich Abel. Hier handelt es sich um ein "kurzes, ungerechtes" Porträt der im Jahre 1760 hingerichteten Christina Schettinger, der zweiten Frau des Sonnenwirtle Friedrich Schwan. Abel, Philosophielehrer an der Stuttgarter Karlsshule, war einer der typsichen Vertreter eines "neuartigen bürgerlichen Antifeminismus", der sich im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts zusätzlich aus Berichten über die "schrecklichen Frauen" der französischen Revolution speiste.
Die Rolle der Frauen in den Räuberbanden wird anhand der in neueren Quellenveröffentlichungen verfügbaren Darstellungen von Räuberbanden des 18. und 19. Jahrhunderts untersucht. Die Analyse darf jedoch "nicht ignorieren, daß es sich bei dem historischen Material, dessen wir habhaft werden können, um ein gefiltertes handelt: um Bilder, Zuschreibungen, Projektionen". Parallel dazu werden daher die biografischen Daten von über 500 Frauen aus der im Jahre 1799 veröffentlichten "Oberdischinger Diebsliste" ausgewertet, um einen Blick auf einige Referenzdaten zur Lebensrealität kriminalnotorischer vagierender Frauen zu erlangen. Folgende Kategorien sollen dabei hauptsächlich berücksichtigt werden: Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der aufgeführten Delinquenten, Alter, Status, Berufsangebe, Kinderzahl, Delikt.
Die "Oberdischinger Diebsliste", von der Herzog Friedrich von Württemberg für die Ober- und Stabsämter 120 Exemplare bestellt hatte, umfasst - ohne die Listen der Hingerichteten oder sonstwie zu Tode Gekommenen - die Namen und Steckbriefe von 1487 Personen, darunter 503 Frauen. Die Altersverteilung dieser Frauen stellt sich wie folgt dar: Nur drei von ihnen waren unter 20 Jahre alt. 21 Prozent von ihnen waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. Den größten Anteil mit 35,5 Prozent stellen die Frauen zwischen 30 und 40 Jahren. 19,2 Prozent waren zwischen 40 und 50, immerhin noch 5,4 Prozent zwischen 50 und 60 Jahre alt.
Knapp unter zwei Prozent liegt die Zahl der alten bis 70 Jahre, bei etwas über zwei Prozent die Zahl derer, die das Attribut "alt" ohne weitere Angabe erhielten. In 13,9 Prozent der Fälle fehlen die Altersangaben. Nur in einem einzigen Fall liegt ein vollständiges Geburtsdatum vor.
Da es sich bei den Altersangaben vornehmlich um geschätzte Angaben aus Verhören handelt, sind diese mit Vorsicht zu interpretieren. Sie lassen jedoch die tendenzielle Aussage zu, dass mit einem Anteil von über 54 Prozent die Mehrzahl der Frauen auf der Straße an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die lebenserfahrenden Frauen zwischen 30 und 50 Jahren waren. Etwas weniger als ein Drittel der in der Liste aufgeführten Frauen war verheiratet. Für die übrigen erscheinen dort Bezeichnungen wie Mensch, Beischläferin, Anhang, Concubine, Kebsweib, Unterbett oder Cammerädin. Berufsangaben für die Frauen finden sich in weniger als elf Prozent der Steckbriefe. 42 Nennungen beziehen sich auf den Handel mit verschiedensten Waren wie Zunder und Feuerstein, Stoffen, salben udn Pomade, Bildern, Süßigkeiten, Silberwaren, Geflügel und Katzenbälgen. Je einmal sind genannt: Herstellung papierener Schachteln, Herstellung von Amuletten, Haarschuh- und Spitzenmacherin, Tuchdruckerin, Magd, Soldatin und Musikantin. Eine Frau verdient ihren Lebensunterhalt mit Tobackschwärzen, eine trägt einen Guckkasten mit sich. Zwei Frauen leben vom Stricken.
Die Lebensrealität der vagierenden Frauen, die innerhalb von kriminellen Banden ihren Lebenszusammenhang und -unterhalt suchten und die Legendenbildung um die Räuberbräute klaffen weit auseinander. Hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Frauen, die in der Volkspoesie und Literatur eine besondere Rolle spielt, spricht die Masse der erhaltenen Steckbriefe und Inquisitionsprotokolle eine völlig andere Sprache. Die meisten von ihnen waren weder jung noch schön. Ihre Gesichter waren blatternarbig und "gedupft", ein Hinweis auf überstandene Krankheiten. Sie waren "vom Ungeziefer" gefressen, bei Krankheit auf Bettelfuhr oder die Solidarität der Bandenmitglieder angewiesen.
Dennoch fällt auf, dass auch bei den durch biografische Skizzen gewürdigten Räuberfrauen Wert darauf gelegt wird, ihr Äußeres ausführlich zu beschreiben. So war Buzeliese-Amie, eine ehemalige Geliebte des Schinderhannes, "sehr gut gebildet, fleischig anzufühlen", und auch Christina Schettinger erhielt das Attribut "von schöner Bildung".
Mit solchen Formulierungen sollte die erotische Anziehungskraft der Frauen herausgestellt und ihre Rolle als Verführerinnen verdeutlicht werden. Im 18. Jahrhundert bildeten sich - letztlich unbegründete - Vorstellungen heraus, wie aus der äußeren Erscheinung, speziell der Physiognomie, auf den Charakter des oder der betreffenden Person zu schließen sei. In diesem Zusammenhang müssen die Notizen über das Aussehen der Frauen gesehen werden.
Die bisherige Forschung und Literatur ging im großen und ganzen davon aus, dass Frauen im Rahmen der beschriebenen Räuberbanden nur gewisse Randfunktionen wahrnahmen und vorzugsweise Hilfsdienste in einem von Männern geprägten Umfeld leisteten. Jedoch erlauben einige ind en letzten Jahren erstellte Einzelfallstudien einen differenzierenden Blick auf Auftreten, Aktionen und Handlungsspielräume von Frauen im Kontext der Bandendelinquenz des 18. und 19. Jahrhunderts.
Als die typischen Frauendelikte gelten Markt- und Taschendiebstahl. "Besonders wird der Marktdiebstahl von Frauenzimmern betrieben." 26 Prozent der in der "Oberdischinger Diebsliste" aufgeführten Frauen finden sich in der Kategorie Marktdiebin, gefolgt von 16 Prozent, die als Diebin mit unterschiedlichen Klassifizierungen bezeichnet werden. 6 Prozent werden des Bettelns bezichtigt. Daran schließen sich knapp unter sechs Prozent Sacklagerinnen und Sackgreiferinnen an. Vier Frauen sollen an einem Postkutschenüberfall beteiligt gewesen sein. Prostitution als eigenes Delikt wird in etwa drei Prozent der Fälle aufgelistet. Dieses Ergebnis steht mit dem in der Literatur tradierten Bild von der in Promiskuität lebenden Räuberbraut, die ihre einzige Rolle im Zusammenhang der Banden als wechselnde Geliebte spielt, nicht im Einklang.
Das frappierendste Ergebnis ist jedoch, dass in rund einem Drittel der Fälle, immerhin 165 von 503, nicht ersichtlich ist, warum diese Frauen auf der Liste verzeichnet sind. Bei ihnen werden keine Delikte genannt. Bestimmte, zum Teil äußere Merkmale wie "rote Haare" oder "gehet mit ihrem Mann" scheinen ausreichend, um auf die Liste zu geraten.
Sollte man in einer Reihe von Fällen die mangelnden Erhebungsmethoden und -möglichkeiten der damaligen Zeit oder auch die Unfähigkeit der Ermittler dafür verantwortlich machen können, dass die Delikte (noch) nicht aufgeführt sind, so wird spätestens bei keinesfalls singulären Formulierungen wie "soll sich mit Stehlen nicht abgeben" oder auch "Von dieser weiß man zur Zeit nichts Unrechtes zu sagen" die Fragwürdigkeit solcher Diebslisten deutlich. Frau-Sein und Unbehaust-Sein, die inkriminierte Lebensweise des Vagierens, waren in diesen Fällen bereits ausreichend.
Hinsichtlich der Markt- und Taschendiebstähle waren die Frauen weitgehend autonom in Planung und Ausführung der Taten. Aus ihrem Erfolg resultierte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei einer Reihe von Bande eine gewisse Dominanz der Frauen, wei zum Beispiel bei Elisabetha Frommerin, der im Jahre 1732 hingerichteten Alten Lisel. Ihr Aktionsraum waren die in reicher Zahl abgehaltenen Märkte und Messen rund um den Bodensee, er reichte von Dinkelsbühl im Norden bis Schaffenhausen im Westen, von Buchloe im Osten bis nach Einsiedeln und Chur im Süden. Sie "war die unbestrittene Anführerin der um sie geschaften Männer, Frauen und Kinder, denn von ihrer Lebenserfahrung, ihrer Routine im Kampf ums Überleben profitierten alle."
Um die gleiche Zeit wird auch die alte Cullin, eine "Erzstapplerin und falsche Brieftragerin", aktennotorisch, unter deren "Direktion" im Jahre 1728 eine "Compagnie von 17 Personen" stand, die gleich ihr mit falschen Brand- und Bettelbriefen agierte. Blauert definiert diese Banden als "Überlebensgemeinschaften", in denen die Frauen die zentrale Rolle spielten und in der Männer "nur am Rande" vorkamen. Jedoch entsprang dies keinem programmatischen Vorgehen oder "weiblicher Strategie". Es war eher die Lebensform des Wanderns, die eine häufige Trennung der Lebenspartner erzwang. Die Frauen übernahmen dabei die Basisversorgungsfunktion der jeweiligen Gruppe. Je größer ihr wirtschaftlicher Erfolg für die Bande war, desto sicherer begründete dieser die Dominanz der Frauen innerhalb der Gruppe. Als aktiv Handelnde akzeptierten die Frauen die auf sie bezogenen Normen und Verhaltensanforderungen und entwickelten diese weiter.
Sie waren es, die, pragmatisch orientiert am alltäglichen Bedarf, "den über den nächsten Tag hinausgehenden Zusammenhalt der Gruppe" herstellten, "alleine schon vermittelt durch die Sorge um die zahlreich mitgeführten Kinder".